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Unendliche Räume. Zu William James Lintons Vignettenkunst

Lintoniana VIII

“Mit der Aufteilung in Zeichner und Graveur begann der Niedergang des Holzstichs als Kunst (…) begann ein System der Spezialisierung; und in ihrer Abhängigkeit von Zeichnern hörten die Gravuere auf zu zeichnen und sich auf sich selbst zu verlassen. In Ermanglung erweiterter Befähigungen ging es dann in den folgenden Jahren unvermeidlicher Weise von der Mittelmässigkeit in die reine Mechanik über.” (W. J. Linton, Masters of Wood Engraving)

Im Verlauf seiner zweiten Karriere in Nordamerika hatte sich William James Linton nicht zuletzt auch auf Grundlage seiner eigenen xylographiehistorischen Publizistik im Bereich der zeitgenössischen Druckgrafik einen Sonderstatus erarbeitet. Er galt nicht nur als einflussreichster Holzstecher seiner Generation, sondern auch als der hervorragendste Vertreter der künstlerischen Autorenxylografie nach Thomas Bewick. Die Fama des Drucker – Poeten Linton war allerdings zu Ende des Jahrhunderts mit dem rapiden Niedergang des Gewerbes schnell vergessen. Was sich stattdessen durchsetzte war die Ansicht einer rasant anwachsenden Gemeinde von Anhängern des Drucker – Poeten William Blake, dass es sich bei Linton um einen inferioren Nachfolger gehandelt habe, dessen Arbeit einen vernachlässigungswerten Aufguß des Meisters darstellt. Einzig im Hinblick auf die Frühgeschichte der Blake-Rezeption wollte man seiner Kunst noch eine Art von dokumentarischem Wert zusprechen. Dieser Vorwurf des Epigonalen war nie Gegenstand einer offenen Debatten, allein hat die Suggestion bis heute jede tiefgreifende Auseinandersetzung mit Lintons künstlerischem Erbe blockiert, mit einem Werk, das sich in wesentlichen Punkten geradezu antithetisch zu Blakes illuminierten Dichtungen verhält.

Linton zeigte sich beispielsweise nie wirklich empfänglich für den romantischen Historienkult, der ebenso die Genese von Blakes Kunst wie auch die Erzeugnisse der präraffaelitischen Schule befeuert hatte, im Gegenteil. In solchen Beschwörungen des Uralten sah er einen obskuren „Purismus“ am Werk, eine antiquarische Sucht, die, wie die Entlarvungen der literarischen Nebelwerfereien von Macpherson und Chatterton gezeigt hatten, nur allzu anfällig für Täuschungen aller Art war.(1) 1882 veröffentlichte Linton in seiner Appledore Press in einer geringen Auflage Heart Easings, ein Gedicht aus dem späten 16. Jhd. Wie im Vorwort vermerkt war hatte er es bei seinen Nachforschungen für eine geplante Anthologie früher englischer Dichtkunst im British Museum ausgegraben. Hinter dem Autorenkürzel A.W. of the Middle Temple verbarg sich allerdings kein anderer als Linton selbst, der sich als literaturhistorischer Freibeuter einen Spaß daraus machte, das Elaborat in den Kreisen befreundeter Kollegen aus dem akademischen Feld zirkulieren zu lassen, um deren fachliche Kompetenz anzutesten. Und es war nicht das letzte Mal dass er sich einen solchen Ossianischen Scherz erlaubte. Lintons harmlose literarische Fakes hatten anscheinend durchaus ernsthafte Konsequenzen, denn er hatte nach den Vermutungen von Francis Barrymore Smith damit wohl den größten literarischen Betrugsfall des 19. Jahrhunderts inspiriert, bei dem sein Mentor, der Kritiker und Antiquar Henry Buxton Forman zusammen mit dem bibliophilen Thomas James Wise gefälschte Raria im großen Stil in Umlauf gebracht hatten. (2)

A.W. of the Middle Temple, Gent: Heart Easings. Gent. (1595). reprinted liberatim from a copy, supposed unique, in the British Museum.  Hamden 1882

In den Bestrebungen von Blake und seinen Nachfolgern den Gestus altertümlicher Druckweisen zu imitieren sah Linton bereits das Urübel einer Standardisierung am Werk. Die Idee Bild- und Textgestalt nach mittelalterlichem Vorbild zu vereinheitlichen, von der Blake genauso wie die arts & crafties motiviert waren, lief nach Lintons Ansicht auf die Sklavenarbeit des Faksimilestichs und eine Monotisierung des gesamten Erscheinungsbilds hinaus. Im Gegensatz zu William Morris´ Kelmscott Press war Blake allerdings dieser Falle eines unkreativen arbeitsteiligen Nachschneidens von Lineamenten durch seine Entwicklung der Hochdruckätzung entgangen, die ihm eine freie und intuitive grafische Gestaltung erlaubte. (3)

Tatsächlich kann Blakes Verfahren, archaische Holzschnittästhetik per Ätzverfahren zu generieren als ein radikaler Versuch gewertet werden, den überfeinerten grafischen Anschauungen seiner Zeit, die mit einer zunehmenden Kommerzialisierung und Mechanisierung des Kunsthandwerks einhergingen, entgegenzuwirken.(4) Linton sah sich ein halbes Jahrhundert später mit einem noch korrupteren Zustand des druckgrafischen Markts konfrontiert. Er war einer der wenigen, dem es in dieser Situation gelungen war, die Illustration zu einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform zu erheben. Als sein grafisches Meisterwerk können die Illustrationen zu William Cullen Bryants Gedichtzyklen Thanatopsis und Flood of years gelten, die 1874 und 1877 in New York und Boston erschienen. Ähnlich wie Max Klingers grafische Zyklen, beispielsweise die Brahmsphantasien“ von 1885, schaffen sie einen eigenen bildpoetischen Raum, der sich völlig losgelöst behaupten kann von einer zugrunde liegenden Vorlage, sei sie textlicher oder musikalischer Natur. Ganz im Gegensatz zu Klingers Arbeiten blieb Lintons furioses Illustrationswerk jedoch weitgehend folgenlos. Im amerikanischen Exil fiel es auf wenig fruchtbaren Boden. Einzig der bemerkenswerte Elbridge Kingsley und seine Künstlerformation der Original Workers in Wood (OWW) sind seinem Beispiel einer visionären, naturlyrischen Ausdruckskunst nachgefolgt. (5)

W.C. Bryant / W.J. Linton, Thanatopsis, New York 1874 (after William Blake´s “Jerusalem” pl. 51)         

William Blakes Kunst spielte für die Entwicklung von Lintons Illustrationsgrafik nur eine geringe Rolle. Zwar übernahm er mehrfach Bildmotive von ihm, doch geschah dies im Kontext einer in der Tradition radikaler Publizistik ganz geläufigen Appropriationsstrategie.  Neben Blake waren es beispielsweise auch William Turner, John Constable, George Cruishank und Thomas Nast, deren Werke Linton als Versatzstücke für seine republikanische Bildpropaganda dienten. Viel wesentlicher für die Entwicklung seiner künstlerischen Anschauungen war die kritische Auseinandersetzung mit den Grafiken der Bewick-Werkstatt. In den capriccioartigen Schlussvignetten von Thomas Bewicks berühmten Tierlexika und Fabelillustrationen nahm er einen Erfindungsreichtum und ein bildpoetisches Potential wahr, das sich auf der Grundlage intensiver Naturbeobachtung weit über den einengenden Kanon tradierter Emblematik erhob. In seinem xylographiehistorischen Hauptwerk Masters of Woodengraving unterzog Linton die Publikationen von Thomas Bewick, der als Initiator der Holzstichbewegung quasi unter Denkmalschutz stand, einer sehr scharfsichtigen Analyse. In vielen der besten Vignetten der Bewick-Bücher konnte er nicht die Urheberschaft des Meisters erkennen, dessen grafische Handschrift er als bieder und „heimelig“ empfand. Die “engraving power,“ die er in den verbürgten Arbeiten von Bewick vermisste fand er in den Stichen von dessen Schülern Luke Clennell und Charlton Nesbit.

Tailpiece by Luke Clennell, reprinted in Linton´s “The Masters of Wood Engraving,” Hamden / London, 1889

Das Vorbild von Clennells und Nesbits subtiler Vignettenkunst wurde allerdings erst wirksam als Linton nach Jahren ausgiebiger Naturstudien im Lake-District mit der Herausgabe einer Kompilation eigener Gedichte beschäftigt war. (6) Claribel and other Poems erschien 1865 und war mit einer Reihe von Illustrationen versehen, die er später in weiteren Gedichtkompliationen erneut zum Einsatz brachte, u.a. in den Golden Apples of Hesperus (1882).  In dem Vorwort zu dieser eigenwilligen Anthologie von englischen Gedichten des 16. und 17. Jhds heißt es: “Was die Holzstiche betrifft, so darf ich bekennen, daß ich bestrebt war meine Seiten mit etwas zu verzieren, das weniger monoton und weniger dreist daherkommt wie Druckereigarnitur, während ich auf der anderen Seite die Sträflingsarbeit vermeiden wollte von dem, was normalerweise als Illustration bezeichnet wird.”

Diese bildnerische Etwas, das Linton angestrebt hatte, das weder Zierwerk von der Stange sein sollte, noch abhängiges Illustrationswerk, stellt ein autonomes visuelles Äquivalent zum Gedicht vor. Man könnte es als piktorale Poesie bezeichnen, die ihre Wirkung in einem offenen Assoziationsraum entfaltet zwischen minutiös detailliertem Abbild und frei flottierender Ornamentik. Lintons Naturlyrik stellt in ihrer ungebundenen emblematischen Form einen Meilenstein in der Illustrationsgeschichte vor. Weder war sie in der pastoralen Tonlage von Blakes Georgica-Stichen oder Samuel Palmers Traumlandschaften gehalten, noch transportierte sie das nostalgische Bild einer domestizierten Kulturlandschaft a la Bewick. Hier ging es um unbändige Natur als Signatur von Unabhängigkeitswillen, um ein Sherwood Forest antifeudaler Outlaws, kurzum: den dauerdramatischen Erregungszustand der Generation Achtundvierzig. Linton hat diese große Oper in haikuartige Kapseln gepresst, infinite Räume in die Nussschalen Bewick´scher Vignetten. An keiner Stelle seines Werks wird er seinem eigenen Postulat, daß der Xylograph den Stichel als kreatives Zeichenwerkzeug und nicht als mechanisches Nachschneideinstrument benutzen solle, mehr gerecht als in diesen beiläufigen Miniaturen. Sie bringen auf signifikante Weise die implizite Monumentalität des Mediums Holzstich zum Ausdruck.

W.J. Linton, Claribel and Other Poems, London 1865 /  Golden Apples of Hesperus (Poems not in the Collections), New Haven 1882 / Rare Poems of the 16th and 17th Century, Boston, 1882  /  Love-Lore and other, early and late Poems, New Haven 1895 

 

Anmerkungen:

1) Die Gesänge des gälischen Barden Ossian, die ein keltisches Heldenepos darstellen sollten, waren in den 1760er Jahren erschienen. Sie stammten in Wirklichkeit aus der Feder des schottischen Dichters James Macpherson. Dieser folgenreiche literarische Schwindel  hatte wenige Jahre später den jungen Thomas Chatterton zu dem literarisch ungleich wertvolleren pseudo-mittelalterlichen Gedichtzyklus eines Klosterbruders namens Thomas Rowley angestiftet.

2) > F.B. Smith: Radical Artisan, William James Linton 1812-97, Manchester 1973. S. 201-203

3) > MePri-Beitrag: Art or Craft – W. J. Linton vs. William Morris. A posthumous dispute./ Linton selbst proklamierte eine Form von Illustration, die in ihrer Tonalität weitgehend vom typographischen Erscheinungsbild unabhängig war: Sie öffnet sich im Druckbild wie ein Fenster in einen infiniten Tiefenraum hinein. Die strukturelle Differenz zur Typografie ergab sich schon allein aus dem Vorsatz eines freien zeichnerischen Umgangs mit den Stecherwerkzeugen, die auf die Praxis des Weisslinienstichs hinauslief.

4 > Morris Eaves, The Counter-Arts Conspiracy. Art and Industry in the Age of Blake. Ithaca / London 1992

5 Die Arbeit von Elbridge Kingsley und den OWW wird in einem nachfolgenden Beitrag über die Xylographen der New School vorgestellt.

6) > MePri-Beitrag: Revolutionäre Landschaften – William James Linton´s Kunst der grafischen Macchia.

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