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Zeichnen in der Tube. Im Gespräch mit Thomas Zacharias

Thomas Zacharias, geb.1930, unterrichtete seit 1966 an der Akademie der Bildenden Künste in München.
Nach seiner Emeritierung schuf der Bildende Künstler, Buchautor, Illustrator, Kunsthistoriker und Fotograf  ein umfangreiches Werk in Skizzenbüchern. Zacharias lebt zeitweise in London. Dort sind auch die vorliegenden Zeichnungen entstanden.

Horst Moser: Was ist dein primäres Interesse beim Zeichnen vor Ort, zum Beispiel in der U-Bahn?  Interessiert dich, welche Hände der Gegenübersitzende hat? Oder ist der Antrieb werkorientiert, das heißt ein volles Skizzenbuch? Oder ist das Zeichnen eine Art Trance oder Meditation?

Thomas Zacharias: Gefüllte Bücher zu haben, spielt natürlich auch eine gewisse Rolle. Aber das ist ein nachgeordnetes Interesse. Das Hauptinteresse ist – egal ob im Museum oder in der U-Bahn – eine Art Aneignungsinteresse. Und das Interesse an der verdichteten Zeit.

HM: Ich habe vor einigen Jahren in LeicaWorld ein Portfolio mit Portraits von U-Bahn-Fahrern gestaltet. Ich habe sie so angeordnet, wie man sich in der U-bahn gegenübersitzt. Die Aufnahmen sind extrem scharf und man sieht jedes Detail der Kleidung. Ich habe das Magazin mitgebracht.

Z: Ach das ist ja toll! Das ist sehr schön. Das ist genau der gleiche Blick.

HM: Es ist die gleiche Situation, nur völlig anders dargestellt.

Z: Ja, es ist die gleiche Situation, nur das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt ist ganz anders als bei meinen Zeichnungen in der selben Situation. Also, erst einmal traue ich mich schon gar nicht zu fotografieren, weil ich nicht auffallen will. Und ich möchte auch nicht dumm angeredet werden. Da bin ich sehr scheu. Und wenn ich in der U-Bahn gezeichnet habe, dann habe ich so gezeichnet, daß man das nicht sieht.

HM: Ich glaube, diejenigen, die gezeichnet werden, bemerken das.

Z: Manche merken es, aber wenige. In der Londoner U-Bahn fährt man so schnell, ständig bewegen sich die Hände, plötzlich steigt einer aus, plötzlich ist es wieder anders. Man kann sich gar nicht richtig darauf einlassen, man muß schnell schauen und schnell zeichnen.

HM: Und wenn es jemand merkt? Stört Dich das?

Z: Doch, das stört mich schon. Ich vermeide das nach Möglichkeit. Wenn es jemand bemerkt, mache ich das Buch zu. Es entsteht sofort ein anderes Verhältnis. Weil ich zeichne ja wie ein Spion und in dem Moment wo das jemand merkt, irritiert mich das. Und ich finde mich dann auch irgendwie aufdringlich.

HM: Aber die Posen verändern sich nicht, egal ob es der Betreffende weiß oder nicht.

Z: Doch, es verändert sich die Einstellung. Und das ist ganz wichtig. Subjektiv kommt bei dem U-Bahn Zeichnen für mich dazu, daß das eine gewonnene Zeit ist. Ich drehe die Zeit um. Sonst ist das U-Bahn fahren eine verlorene Zeit. Eine halbe Stunde mußt du absitzen. Da kannst du ein bißchen in die Zeitung rein schauen oder die Leute beobachten. Aber das Zeichnen ist ein verlängertes Leute-Anschauen und es verlagert sich ins Gegenteil. Ich gehe zum Zeichnen bewußt in die U-Bahn.

 

 

HM: Kaufst du dir Tageskarten?

Z: Ja, ich habe einen Freedom-Pass. Ich kann im Großraum London fahren wohin ich will. Das heißt, die Zeit, die sonst eine leere Zeit ist, ist eine unheimlich verdichtete Zeit, sie ist voller Spannung. Ich kann gar nicht lang genug U-Bahn fahren. Früher war die Strecke von mir zum Piccadilly oder Trafalgar Square oder wo ich sonst auch hinfahre, auf das Ziel gerichtet. Um Gottes Willen! ich muß ja aussteigen. Aber dann bin ich überhaupt nicht mehr ausgestiegen, sondern tagelang U-Bahn gefahren. Ich bin 4 Stunden U-Bahn gefahren, so wie man ins Atelier geht, geht man in die U-Bahn und steigt ab und zu in eine andere, völlig wurscht wohin die fährt. Und dann bin ich aber so erschöpft, weil es eine derartige Konzentration verlangt und eine Wachheit nach vielen Seiten hin. Und das hat mir eigentlich den meisten Spaß gemacht. Dieses Zeit rumdrehen.

HM: Adrenalin!

Z: Ja, ja. Adrenalin natürlich. Und dann hat man auch Spaß an den Zeichnungen, die da rauskommen und ich habe später, nach den Skizzen von U-Bahn Händen, große Zeichnungen zuhause gemacht. Da gibt es eine ganze Serie.

HM: Ist die Skizze, das real Gesehene, wichtig oder sind die großen Zeichnungen autonom?

Z: Ich versuche die Skizze auf den Punkt zu bringen, sozusagen ihren Charakter zu treffen. Die großen Zeichnungen sind oft sehr unterschiedlich zu den Originalbildern. Ich lasse manches weg aber andere Teile ziehe ich heraus und wenn man das so penetrant macht, dann bekommt es auch etwas Bizarres. Es ging mir um die Genauigkeit gegenüber dem Gegenstand, aber auch um die Selbstständigkeit dessen, was ich daraus mache.

 

 

 

 

HM: Manche Handformen sind ja geradezu erotisiert.

Z: Ja, natürlich, da hast du völlig Recht. Also Hände sind etwas enorm Erotisches und durch das Fleischliche und die Körperlichkeit in dieser Übersteigerung bekommen die Hände Qualitäten, die sie in der Originalgröße nicht so offensichtlich haben.

HM: Welche Rolle spielt bei dir die Technik?

Z: Ich arbeite immer mit Buntstiften und Buntkreiden.

HM: Keine Malerei?

Z: Nein, das kann ich nicht. Mit Pinseln habe ich immer Schwierigkeiten, das bring ich nicht hin. Mir gefällt das Differenzierte, was man mit den Buntstiften machen kann, wenn so ein Körper daraus wird. Da fallen mir dann auch so surrealistische Sachen ein, wie zum Beispiel Arbeiten von Bellmer. Es geht bei mir in diese Richtung, aber es ist schon ein bißchen saftiger als Bellmer.

HM: Wenn du in der U-Bahn bist, gehst du zu den Modellen oder läßt du dich überraschen, wer kommt.

Z: Ich warte wer kommt. Und besonders schön sind die Hände und die Finger von Asiatinnen oder auch von Asiaten. Die sind oft unglaublich langfingerig und beweglich und die geben was her. Andere Hände geben überhaupt nichts her. Dafür kriegt man einen Blick. Nervöse sind schwierig, weil sie ununterbrochen zappeln. Dann gibt es Hände, die sind einfach wie ein Stein. Und das ist wiederum sehr praktisch, da verändert sich wenig. Und dann habe ich oft auch Hände, die einen Kopf stützen oder in der Nase bohren oder mit der Brille spielen.

HM: Schaust Du während des Zeichnens auf das Blatt?

Z: Ich schau’ schon auf das Blatt.

HM: Also im Wechsel auf das Handmotiv und die Handzeichnung.

Z: Ja. In der U-Bahn ist jeder mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt. Sie lesen etwas, sie schauen vor sich hin, sie sind eigentlich kaum präsent.

HM: Es gibt viele Abschottungsrituale, zum Beispiel mit Kopfhörern.

Z: Alles ist sozusagen abgeschottet. Aber was macht man dann mit den Händen? Sie halten eine Tasche, sie halten ein Handy, ein Buch oder eine Zeitschrift. Und das Repertoire der Bewegungen ist relativ eingeschränkt. Wenn man sich gegenübersitzt, wie das in der Londoner U-Bahn die Regel ist, dann siehst Du auch die Hände und jetzt kam bei mir dazu, daß ich ein halbes Jahr in der National Gallery Hände gezeichnet habe. Deswegen war ich auch so auf die Wahrnehmung von Händen fixiert, das ist ja immer so, wenn man sich mit irgend etwas beschäftigt, dann bekommt man eine selektive Wahrnehmung, die auf das abfährt, worauf man gerade programmiert ist.

HM: Das Motiv Hände zieht sich bei dir durch alle Phasen.

Z: Hände haben mich schon immer interessiert. Angefangen hat das mit diesen Zusammenstellungen von Handposen bei den Fotomodellen in den Kaufhauskatalogen.

HM: Genau.

Z: Eigentlich so als eine Chiffre, zunächst als Zeichen wie bei der Taubstummen Sprache.

 

HM: Das überraschende war ja der Mangel an Variation, dieses Stereotype. Das ist das Verblüffende an dieser Serie.

Z: Die Posen bedeuten ja bei den Models letzlich irgendwelche Emotionen, wenn sie da irgendwo herumzupfen. Es sind Körperhaltungen, die nicht neutral sind, sondern sie haben einen Bezug zum Betrachter. Und in dieser Beziehung ist das emotionale Alphabet sehr dürftig, das ist der eigentliche der Witz.

HM: Ich glaube, die Posen haben eigentlich keine Ausdruckskraft, sondern sie vermeiden eher jede Bedeutung. Sie betonen zum Beispiel die Hüfte oder sie verstärken den Körperrhythmus. Oder sie sind Verlegenheitsgesten, wenn beispielsweise ein Daumen in der Hosentasche steckt, um der Hand einen Halt zu geben.

Z: Eine Mischung aus Verlegenheit und Pose. Naja, anyway. Mich hat das jedenfalls immer interessiert.

HM: Bei deinen Foto-Collagen aus Handgesten beschäftigst du dich ja mit ähnlichen Phänomenen.

Z: Ja, da wiederholt sich das. Doch da ist es emotionaler Ausdruck: Die Faust ballen, mit dem Zeigefinger deuten. Ich zeige, wie diffizil der Sachverhalt ist. Aber es sind abgedroschene Vokabeln, Floskeln, Phrasen. Durch die Wiederholung wird das Phrasenhafte deutlich, wobei jeder meint, es sei sein individueller Körperausdruck. Das ist jetzt schon drei Jahre her, als ich diese Collagen gemacht habe. In der National Gallery habe ich mich auf die Hände konzentriert und dadurch bekommt man ein enormes Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten. Weit mehr als bei den fotografierten Gesten. Das ist der große Unterschied, in der Malerei sind die Gesten der Hand in einer ganz anderen Weise sublimiert und sie entwickeln einen ganz anderen Umfang und eine andere Intensität an Ausdrucksmöglichkeiten.

HM: Und wie lange dauern diese Werkzyklen?

Z: Ich bin ja jeden Tag U-Bahn gefahren und habe immer auf die Hände geschaut. Und irgendwann habe ich angefangen, die Hände während dieser U-Bahnfahrten in das Skizzenbuch zu zeichnen. Das war ein vollkommen anderes Zeichnen, verglichen mit dem Zeichnen im Museum. Von Händedarstellungen in der Hochkultur und zu den realen Händen im Alltag.

HM: Der große Unterschied besteht ja im bereits Geformten in der Kunst und im Ungeformten des realen Alltags.

Z: Ja, aber ich habe an den zeichnerischen Stenogrammen aus der U-Bahn zuhause noch weitergearbeitet und beispielsweise die Farben ergänzt. Aber die Grundanlagen sind in der U-Bahn entstanden. Und da muß man ganz schnell irgendetwas erfassen, was einen interessiert.

HM: Wie hoch ist bei den Zeichnungen der Anteil des Gespeicherten von dem flüchtigen Eindruck oder setzt du sofort jedes Detail um?

Z: Wenn man ein gutes Gedächtnis hätte, könnte man ganze Sequenzen beobachten, bevor man sie zeichnet. So ein Gedächtnis habe ich aber nicht.

HM: Wieviele Linien kannst du speichern?

Z: Das funktioniert nicht über Linien. Ich kann das nicht numerisch sagen, es kommt auf den Ausdruck an.

HM: Also Du siehst etwas, merkst es Dir und kannst es dann abrufen vor dem geistigen Auge?

Z: Das kann ich nicht. Ich weiß dann zum Beispiel nicht mehr, wie die Position des kleinen Finger war. Ich habe kein eidetisches Gedächtnis.

HM: Die Eidetiker haben jedes Detail gespeichert.

Z: Ja, die können das aus dem Gedächtnis abrufen. Das kann ich überhaupt nicht. Was die Präsenz besonders zwingend macht. Also ich muß mich in der U-Bahn wahnsinnig konzentrieren, ich muß ganz schnell zeichnen. Außerdem ruckelt es ja dauernd. Das Zeichnen ruckelt und die Hände ruckeln. Und das gehört beim Zeichnen dazu. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Faktor, wenn man es unter den Gesichtspunkt der Reportage sieht, unter welchen Umständen etwas entsteht. Es ist ja nicht nur das Objekt, sondern es geht um die Frage, wie sich das zeichnende oder aufnehmende oder wahrnehmende Subjekt zu dem Objekt verhält. Und das Subjekt ist in diesem Fall so stark involviert, dadurch, daß es geschüttelt wird. Das Subjekt ist auf der Lauer und das gibt den Zeichnungen eine besondere Präsenz. Also es geht nicht nur, wie bei den Fotografien, darum, wie sich die Finger ineinander verschränken, sondern Thema ist das Zeichnen in der U-Bahn, das schnelle Schauen und das schnelle Zeichen.

 

 

HM: Die Umstände des Zeichnens sind zum Beispiel bei Goethes Zeichner Kniep und bei den Zeichnungen von Humboldt völlig ausgeblendet. Alle realen Probleme am Vulkan oder im Dschungel spielen keine Rolle, sie finden nicht Einlaß in die Zeichnungen.

Z: Ja, sie sind völlig abstrakt. Da gibt es keine Ameisen und da ist es nicht heiß, das ist völlig richtig. Und bei mir ist es das Gegenteil. Bei mir ist die Situation in der Zeichnung involviert.

HM: Du bemühst dich auch nicht, das zu verhindern.

Z: Nein, nein, es ist unmöglich, das zu verhindern. Im Gegenteil, ich muß das zulassen. Und dadurch ergibt sich auch dieser wackelige Strich. Der entsteht nicht, weil es mir pressiert oder weil ich den Strich interessant finde. Es geht einfach nicht anders und damit ist sowohl der Gegenstand als auch die Situation und der Zeichner in der Reportage integriert. Es ist auch eine Reportage über den Zeichner, über das Zeichnen. Und das hat mich zunehmend fasziniert bei diesen Arbeiten. Und es gibt ja auch Beispiele, bei denen ich versucht habe, Veränderungen der Hand gleich mit zu zeichnen. Das ist aber nicht verkünstelt, um es interessant aussehen zu lassen.

HM: Also kein Manierismus wie Horst Janssen, der sich um Nervosität und Vibration des Strichs bemüht.

Z: Nein, nein, bei mir gibt es einen eigenen Rhythmus, eine gewisse Sperrigkeit. Manchmal ist das Ergebnis auch blöd, manchmal ist viel Schmarrn dabei, das ist klar. Aber manchmal ist es auch sehr gut.

HM: Es geht bei dir nur um die Form. Oberflächen und Material spielen keine Rolle.

Z: Ja. Das Material interessiert mich eigentlich nicht so sehr, eigentlich nur die bewegte Form. Manchmal ist die Farbe auch wichtig.

HM: Gibt es auch Posen, die du noch nie gesehen hast?

Z: Selten. Es ist aber immer wieder neu. Es sind ja nicht nur die Posen. Es kommt immer darauf an, was einer für ein Gesicht hat, was einer für Hände hat. Wie einer sein Kinn in die Hand stützt, das ist nie bekannt. Es kann langweilig sein und belanglos, aber es gibt so viele Weisen und manchmal denke ich, das gibt’s ja gar nicht, wie der das Kinn in die Hand stützt. Es ist oftmals sehr überraschend. Wie bei allen Sachen: je mehr du dich einlässt, desto mehr entdeckst du, desto reicher wird es. Mir geht es natürlcih um die Zeichnungen, aber noch wichtiger ist mir eigentlich die Präsenz, das Angeregtsein.

HM: Die Gesichter spielen bei deinen Handdarstellungen keine große Rolle.

Z: Manchmal kommen auch Gesichter vor. Aber ich will keine Porträts zeichnen. Mich interessieren einfach die Hände mehr und sozusagen deren Physiognomie.

HM: Eine Konstante sind auch Taschen.

Z: Ja, es ist einfach interessant, wie die Leute die Tasche halten. Oder wie sie sich die Hände ineinander verknödeln. Da ist soviel Ausdruck drin, was man sonst eigentlich nicht vorzeigt. Die Leute wissen gar nicht, wie nackig sie sich da darstellen, mit ihren Händen. Das ist oft ungeheuer, was sich da abspielt. Das ist unglaublich intim. Wenn man so drauf fixiert ist, wie ich. Das ist ein indiskreter Blick, den ich da habe und dabei will ich nicht erwischt werden. Das ›Leute anschauen‹ geht hier ein bißchen tiefer. Ich fühle impressionistisch, wenn ich das Kostümfest an mir vorbeilaufen lasse. Das finde ich spannend. Aber nach hunderten von Zeichnungen hat es sich erschöpft.

HM: Aber der geschulte Blick bleibt ja?

Z: Der Blick bleibt natürlich. Das macht es für mich auch so interessant, in Museen oder durch die Stadt zu gehen. Alles ist voller Wunder. Zur Reportage kommt bei mir als wesentlicher Moment die Bereicherung der Wahrnehmung. Das bezieht sich immer auf die Wirklichkeit. Es bezieht sich nie auf den selbstreferentiellen Strich.

HM: Aber es ist schon eine Wechselbeziehung?

Z: Ja, natürlich. Das ist Zeichnen, das ist ja das Handwerk. Aber es bezieht sich immer auf das, was man sehen kann und womit man konfrontiert ist. Und die eigene Person ist involviert, im Unterschied zum klassischen Humboldt, da spielt sich das Zeichnen sozusagen in einem keimfreien Laboratorium ab.

HM: Scheinbar. Aber er ist bei Wind und Wetter draußen auf dem Fluß oder auf den Bergen.

Z: In der Zeichnung ist alles ausgelöscht. Es entspricht dem Bild der objektiven Wissenschaft.

HM: Die Intension ist sicher Objektivität: dieser Berg sieht so aus, die Küstenlinie hat diese exakte Umrißlinie.

Z: Auch in der Wissenschaft gibt es ja die Frage – denken wir an die Heisenbergsche Unschärferelation – wie weit der Betrachter durch die Beobachtung den Gegenstand verändert. Und wie weit die Wahrnehmung von der gesamten Situation, von Wind und Wetter und von der Befindlichkeit und vom Interesse dessen, der da dieses Stück Realität abbilden will, abhängig ist. Und dieser Aspekt, die subjektive Seite, der besonders konzentrierte Erregungszustand ist bei den U-Bahn Zeichnungen extrem.

HM: Das ist das Wichtigste?

Z: Ja, der Erregungszustand ist fast das Wichtigste.

HM: Leonardo hat sich Physiognomien nach Zahlen gemerkt, zum Beispiel Nasenformen. Die Einzelteile konnte er quasi digital wieder zusammensetzen. Aber das interessiert Dich nicht?

Z: Ich will ja keinen Katalog machen, das gibt es ja alles. Das meiste ist ja schon gemacht. Mich interessiert meine eigene Erregung.

HM: Wenn du dir das Gesehene nicht nach einem, wie immer gearteten Schema merkst, kannst du ja nicht aus dem Kopf zeichen.

Z: Nein, das kann ich nicht. Ich kann nicht aus dem Kopf zeichnen. Da habe ich solche Schwierigkeiten.

HM: Ein anderer Aspekt: ich habe eine Textstelle gefunden, ich zitiere: „Dürer war der erste, der explizit in seinen kunst-theoretischen Schriften den Schönheitsbegriff von Gegenstand ablöste und folglich seine Skizzen und Zeichnungen signierte, datierte und kommentierte. Erwin Panofsky in diesem Zusammenhang: Es ist aufschlussreich, daß keine europäische Sprache gleichbedeutende Worte für das Deutsche ›Handriss‹ oder ›Handzeichnung‹ hat, die unterstreichen, daß die Hand eine individuellen Person auf eben diesem Stück Papier geruht hat. Wodurch demselben ein Gefühlswert nicht unähnlich dem eines persönlichen Erinnerungsstücks, ein handgeschriebener Brief, ein mit der Hand unterzeichnetes Dokument, ein handgesticktes Taschentuch oder gar einer Reliquie verliehen ist. Dürer und Menzel zeichnen ihre Hände, ihre agierenden Sehnerven . . .“ Also nochmal die Frage, welche Bedeutung hat bei dir das Endergebnis, die Handzeichnung, das Unikat, das Skizzenbuch.

Z: Keine primäre. Wobei sich das ganz automatisch ergibt, daß man auch Spaß an diesen Büchern hat und dann kommt wieder ein neues dazu und dann wieder eins. Also es geht mir nicht darum, die Bücher zu produzieren. Aber ich bin auch an der Ästhetik der Bücher interessiert. Das sieht man schon allein dadurch, daß ich jetzt nicht mehr auf die Rückseiten zeichne. Früher habe ich immer alles voll gezeichnet. Jetzt immer nur die eine Seite. Ich habe Lust, daß das schön zum Anschauen ist. Daß so eine Seite schön ausschaut, finde ich dann schon wichtig. Auch der Wechsel der Techniken, daß es mal wieder ganz zart ist und dann wieder deftiger.

HM: Hast Du schon jemanden getroffen der mit der gleichen Leidenschaft zeichnet? Das ist ja eigentlich ein Anachronismus.

Z: Völliger Anachronismus. – –

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