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Plädoyer fürs Abzeichnen. Der grafische Katalog “Ausstellen des Ausstellens”

Die große Sonderausstellung „Ausstellen des Ausstellens“ in der Kunsthalle Baden-Baden widmet sich der Geschichte der Kunstpräsentation bis heute. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie bei den Vorläufern der modernen Museen, den Kunst- oder Wunderkammern der Barockzeit. Sie endet bei aktuellen kuratorischen Situationen, die  auch im Stadtraum zu erleben sind. Die Konzeption knüpft an die institutionskritischen Vorstöße der neunziger Jahre an, darunter Michael Fehrs legendäre Präsentationsserie des Karl Ernst Osthaus-Museums als “Museum der Museen”.

Bea Davies nach: Anton Joseph von Prenner / Frans van Stampart, Bilderwand der Wiener Galerie, 1735 (Ausstellungskatalog)

Wichtiger Teil der Baden-Badener Schau ist der Ausstellungskatalog. Wie es in der Presseverlautbarung heißt, versteht sich die Publikation „als Erweiterung des für die Ausstellung konzipierten Displays. So werden keine Fotografien der ausgestellten Exponate präsentiert. Stattdessen werden die Werke von verschiedenen Illustratoren in Zeichnungen übersetzt; eine ganz eigene Methode, den Ausstellungskatalog selbst als Instrument des Zeigens zu untersuchen.”

Ein Paukenschlag, denn erstmals seit Ende des 19. Jahrhunderts kommt Grafik damit wieder als durchgängiges Reproduktionsmedium im Rahmen einer Großausstellung zur Geltung.

Bea Davies nach: Ansicht des Kunstmarkts Köln ‘67 (Ausstellungskatalog)

Der Einsatz von Zeichnung macht auch im Zusammenhang der museologischen Rückschau Sinn, denn die Gründungsphase der öffentlichen Ausstellungsinstitutionen zu Ende des 18. Jahrhunderts fiel mit einer Neu- oder Umwertung der Bestimmung von Grafik zusammen. Am Vorabend der Fotografie standen nicht länger ihre komplexen interpretativen Leistungen im Vordergrund, sondern Originalität des Entwurfs und Spontanität des Ausdrucks. Die sogenannte Künstlergrafik lief der bis dahin hoch geachteten Reproduktionsgrafik damit den Rang ab. An dieser Herabsetzung änderte auch das strukturell verödete Druckbild der Kataloge bisher nur wenig.

Silke Schatz nach: Nevin Aladag, Läufer, 2018 (Ausstellungskatalog)

Die mutige und richtungsweisende Entscheidung Johan Holtens und seines Teams, Katalogfotos zeichnerisch umsetzen zu lassen, kommt allerdings nicht ohne begriffliche Zugeständnisse aus. Aus der Reproduktionsgrafik wird im Baden-Badener Neusprech eine Reflexionszeichnung.

Was muß man sich darunter vorstellen? Einen grübelnden Zeichner in seiner Klause? Zugegebenerweise muss heute auch der Begriff der Reproduktion im grafischen Zusammenhang zu Missverständnissen führen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts behalf man sich mitunter mit der Bezeichnung “interpretative Grafik”, ein Begriff, der wiederum auf den französischen Kupferstich des 17. Jahrhunderts rekurriert und der heute ähnlich verquast und gestelzt daherkommt wie die “Reflexionszeichnung”.

Bei letzterem Begriff handelt es sich im Grund um eine Tautologie, die darauf abzielt, den nach wie vor schlecht angesehenen mimetischen Akt als eine höherwertige Erkenntnisleistung zu verkaufen. Verkannt werden dabei die entscheidenden semantischen und psychomotorischen Qualitäten manueller Reproduktion, die erst dann zum Tragen kommen, wenn Intellektualität aufhört, intentional zu sein. Hinzu kommt, daß dieser Neologismus wenig produktiv scheint, denn der Ausstieg aus dem Originalitätszwang der letzten zweihundertfünfzig Jahre kann wohl kaum über eine Begrifflichkeit gelingen, die einer Hegemonie des Konzeptuellen verpflichtet bleibt.

Pedro Stoichita nach: Régence-Rahmen, Anfang 18. Jahrhundert, Frankreich (Ausstellungskatalog)

Dabei gibt es einen Terminus, der viel inspirierter ist und besser trifft als Reproduktion und Reflexion, nämlich das Abzeichnen; ein vertrackter und subversiver Begriff, für den es im Englischen kein Äquivalent gibt. Mit copying wär er falsch übersetzt, da damit nicht eine angestrebte Deckungsgleichheit mit dem Original benannt ist, sondern ein Übergriff oder vielmehr Weggriff, ein Raub des Auratischen, eine freibeuterische Differenz. Und die ist in der Abzeichnung ganz diskret in der Vorsilbe “Ab” versteckt. Eine gute Abzeichnung entleert die Vorlage auf rätselhafte Weise. Das weiß jedes Kind. (A.R.)

Die Ausstellung ist bis zum 17. Juni 2018 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen. Der umfangreiche Katalog ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.

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