][

II Der zeitgenössische Holzstich in Nordamerika. von Sylvester Rosa Koehler, Kunstmuseum Boston 1887

Der nachfolgende historische Beitrag von Sylvester Rosa Koehler wurde verfasst für Carl von Lützow´s Monumentalwerk „Der Holzschnitt der Gegenwart in Europa und Nord-Amerika“, Wien 1887. Koehler, geb. 1837 in Leipzig, war lange Zeit Chefkurator für Druckgrafik am Museum of Fine Arts in Boston und einer der wichtigsten amerikanischen Kunstschriftsteller des 19. Jhds. Sein Beitrag über die New School, der hier  in Auszügen abgedruckt wird, ist mit Anmerkungen versehen, so wie komplett neu bebildert worden. Die  wichtigen Illustrationen von Smithwick in „Harper´s Weekly“ und von Cole und Juengling zu James E.  Kelly,  auf die er sich im Text bezieht, finden sich weder in  Lützows Holzstichgeschichte, noch in anderen nachfolgenden Xylographiehistorien. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Begriff des Holzschnitts noch bis in die frühen fünfziger Jahre üblicherweise synonym für Beides, sowohl für den klassischen Holzschnitt, als auch für die Technik der Holzgravur verwendet wurde.  Wenn  Koehler also von Holzschnitt spricht, meint er den Holzstich.

Es trifft sich besonders glücklich, dass sich der amerikanische Holzschnitt zuerst einem größeren europäischen Publikum in einem Werke präsentiert, welches sich die Darlegung des Zustandes und Entwicklungsganges der vervielfältigenden Künste in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zur Aufgabe gestellt hat.1 Denn seine selbständige, eigenartige Ausbildung begann erst in dieser Periode, oder, um ganz genau zu sprechen, sogar erst in der letzten Hälfte derselben.

Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, dass er vorher nichts geleistet habe.Im Gegenteil, viele seiner Leistungen waren sehr respektabler Art und vollständig berechtigt,den europäischen Produkten dieser Kunst ebenbürtig zur Seite zu stehen.Aber wie alle Kunstäußerungen in Amerika, so waren auch diejenigen der Holzschneidekunst nur die Nachahmung, das Echo, manchmal auch die Verfeinerung europäischer Vorbilder.
(….) Wir wenden uns der Zeit zu, in welcher der amerikanische Holzschnitt anfing, seine eigenen Wege zu gehen. Das Resultat war die so genannte „New School“, oder die Schule, welche in ihrer Technik entschieden von allen vorherigen abweicht.

Es ist eine schwierige Aufgabe, einem europäischen und zumal einem deutschen Publikum klar zu machen, dass der Entwicklungsgang des amerikanischen Holzschnitts berechtigt, ja sogar notwendig war. Eines Teils ist der deutsche Holzschnitt noch so sehr an das Faksimile –in seiner reinsten Gestalt  einfach die Nachahmung einer Strichzeichnung – gebunden, daß dem deutschen Publikum die Methode Bewick’s, der „weiße Strich“, auf der in letzter Instanz auch der amerikanische Holzschnitt fußt, noch vor Kurzem  ziemlich unverständlich
gewesen zu sein scheint. Als Beleg für die Richtigkeit dieses Ausspruchs wird es genügen, eine Stelle aus Hermann Lücke’s Einleitung zu dem „Bilder-Album zur neueren Geschichte des Holzschnittes in Deutschland“ (Leipzig, E.A. Seemann, 1877) anzuführen. Da heißt es auf Seite VIII: „Die Absicht im Holzschnitt, den man jetzt auch Holzstich nannte, dem Charakter des Kupfer- oder Stahlstiches möglichst nahe zukommen, war
bei Bewick vornehmlich die Ursache dieser folgenreichen Neuerung – der Substituierung des Stichels und Hirnholzes nämlich, für Messer und Langholz – ;Sie führte ihn zugleich auf die verhängnisvolle Erfindung des so genannten Tonschnittes, bei welchem die Abstufungen des Tons durch verschiedene starke Einschnitte in eine
gleichmäßige Schattenstrichlage hervorgebracht werden, so dass diese Einschnitte im Druck als helle Linien und Punkte erscheinen …. Während die englische Manier den Holzschnitt entschieden auf Abwege führte, ward jene Umgestaltung der technischen Entwicklung des selben von größter Bedeutung…. Eine malerische Wirkung, wie sie der englische Holzschnitt auf falschem Wege gesuchte hatte, konnte mit Hilfe dieser vervollkommneten technischen  Mittel in durchaus künstlerischer und der Natur des Holzschnittes angemessener Weise erreicht werden…. Der mechanische, so genannte Tonschnitt kommt in Arbeiten, die auf wirklich künstlerische Bedeutung Anspruch haben, nur nebensächlich, in einer diskreten Verbindung mit der Linienmanier vor“.

In Anbetracht der Tatsache, dass viele der schönsten amerikanischen Arbeiten reine Tonschnitte – freilich aber nicht mechanische – sind, ist es absolut notwendig , sich solcher Ansichten zu entschlagen oder wenigsten zeitweise in der Schwebe zu halten, wenn man sich nicht von vorneherein dem Verständnis dieser Arbeiten verschließen will. (…) Ebenso schädlich dem Verständnis sind die Ansichten, welche W.J. Linton, der beredte
Vertreter der „weißen Linie“ und des „Zeichnens mittels des Stichels“, in der schon mehrmals
angeführten „Geschichte des amerikanischen Holzstichs,“ 2 in seinem Werkchen „Some Practical Hints on Wood Engraving“ (Boston, Lee & Shepard, 1879) und in diversen kürzeren Abhandlungen vertritt. Die beiden diametral entgegen gesetzten Ansichten fußen gemeinschaftlich auf der irrtümlichen Annahme, dass der Holzschnitt durch sein Material und seine Werkzeuge unwiderruflich in die Grenzen des schon Geleisteten gebannt sei.Dem entgegen steht die revolutionäre Ansicht, dass die Grenzen des Holzschnitts noch lange nicht erreicht seien, dass die Vergangenheit nur die Beschränkungen ihres eigenen Könnens beweise, daß man darauf aber nicht schließen dürfe, auf das, was unmöglich sei und dass es nach all diesem unzulässig sei, aus unserer mangelhaften Erfahrung ewig gültige Gesetze ableiten und deren Übertreter an Leib und Leben strafen zu wollen.

Diese unsere Ansicht müssen wir den Leser bitten, wenigstens vorübergehend als Hypothese zu akzeptieren. Nebenher muß aber noch bedacht werden, dass die Holzschneiderei in erster Linie eine reproduzierende oder interpretierende Kunst ist und dass diese einfache Tatsache trotz tausendmaliger Konstatierung doch immer und immer wieder, selbst von so genannten Fachschriftstellern, übersehen wird. Die Tatsache zugegeben, folgt es unwiderruflich, dass der Holzschnitt sich dem Charakter der jeweiligen zeitgenössischen Kunst anschließen muß,
wenn er sie interpretieren will und dass daher die Mittel, welche einer Periode genügten, für eine andere ganz unzureichend sein können. Es folgt daraus aber ferner, dass man eigentlich einen Holzschnitt gar nicht beurteilen kann, wenn man das Original nicht kennt, nachdem es angefertigt worden ist.

Dies bringt uns zu der zweiten Schwierigkeit, welche dem Verständnis des amerikanischen Holzschnitts seitens europäischer Kunstfreunde im Wege steht: Ihre Unkenntnis der amerikanischen Kunst selbst. Zwar ist diese Kunst heute noch ebenso wie früher von der Kunst Europa’s beeinflußt und aus ihr hervorgegangen, aber sie hat trotzdem gewissen Eigentümlichkeiten entwickelt, welche ihr einen distinktiven Charakter verleihen. Auf der richtigen Erfassung dieser Eigentümlichkeiten beruht begreiflicher Weise die Möglichkeit, den amerikanischen Holzschnitt zu würdigen oder selbst nur zu verstehen, denn in ihnen sind die tiefer liegenden Ursachen zu suchen, welche den Umschwung einleiteten.

Da es nicht erlaubt ist, hier eine längere Darstellung der Geschichte der Kunst in den Vereinigten Staaten zu geben, so müssen einige kurze Andeutungen genügen, um die Sachlage möglichst klar zu machen. Bis über die Hälfte des Jahrhunderts hinaus kann man im Großen und Ganzen mit annähernder Richtigkeiten behaupten, hingen die amerikanischen Künstler von England und von Düsseldorf ab.3 (…) In den 70iger Jahren trat jedoch eine merkwürdige Wendung ein. Seit der Mitte des Jahrhunderts schon hatten einige amerikanische Künstler sich der neueren französischen Schule zugewandt. Paris, und demnächst München wurden jetzt die Hauptanziehungspunkte für die transatlantischen Kunstjünger und als nach vorhergehendem vereinzelten Auftreten die Münchner Amerikaner4 zum ersten Male im Jahre 1877 in ziemlicher Stärke auf der Ausstellung der National Academy of Design in New York erschienen, fanden sie das Publikum, welches durch die Weltausstellung in Philadelphia5 im vorherigen Jahre einen gewaltigen Impuls in der Richtung der Kunst, vornehmlich freilich, der dekorativen erhalten hatte, für die neue Lehre, welche sie predigten, gehörig vorbereitet. Diese Lehre, besonders rücksichtslos von den Münchnern vertreten, war nichts weniger als der Individualismus und die Alleinherrschaft der Technik und der Farbe in der Kunst, bis zum fast vollständigen Ausschluß des Gedankens.Die kühne Pinselführung und die dekorative Farbe, deren sich die Neuerer befleißigten,fand enthusiastische Bewunderer, denn sie stimmte vortrefflich zu dem eben erwähnten Hange zur dekorativen Kunst, welche sich auf einmal des ganzen Landes bemächtigt hatte. Dass dieses Überwiegen des technischen Elementes ein Kennzeichen der modernen Kunst überhaupt ist, braucht hier nicht erst nachgewiesen zu werden. Wohl aber ist es nötig besonders zu betonen, dass in der neueren amerikanischen Kunst das einseitige Überwiegen des materiellen Wesens weiter gediehen ist als irgendwo anders. Darin gerade liegt ihre Eigentümlichkeit und daraus erwuchs auch der Einfluß, den sie auf den Holzschnitt notwendigerweise ausüben mußte, soweit derselbe nicht nur den Zwecken der allergewöhnlichsten Illustration diente, sondern als Interpret der zeitweiligen höchsten Leistung der Kunst fungieren wollte.

Bei diesem Vorherrschen des sinnlichen Elementes in der Kunst, der Technik und Farbe über das Geistige, welches sich hauptsächlich in der Zeichnung ausspricht, war es nicht anders möglich, als dass letztere darunter leiden mußte. Es begreift sich leicht, dass die zarte Bleistiftzeichnung , die er Künstler früher auf dem Stock entworfen hatte und die der Holzschneider, außer an den Stellen, wo flache, gewaschene Töne durch Töne in Strichlagen ausgedruckt werden mußten, nur sorgfältig – freilich aber auch mit künstlerischem Verständnis – zu erhalten brauchte, immer mehr und mehr in Verfall geriet. An die Stelle solcher Zeichnungen traten jetzt große gemalte Vorlagen, schwarz und weiß in Ölfarbe oder in Gouache ausgeführt, so dass dem Illustrator Gelegenheit geboten ward, seine Gewandtheit mit dem Pinsel zu beweisen. Diese Vorlagen wurden sodann in reduzierter Form auf den Stock fotografiert und mit Hilfe des Originals, welches der Holzschneider immer vor sich behielt, in druckbare Gestalt gebracht.

Hier stand nun der Holzschnitt vor einer ganz neuen Aufgabe: – er sollte nicht mehr zeichnen – er sollte malen! Da half die „mit dem Stichel gezeichnete Linie“ nichts mehr. Es wird am besten sein, hier von vorneherein gleich zuzugeben, dass diese neue Richtung sehr viel Unsinniges und Unschönes produziert hat, nicht nur auf Seiten der Illustratoren und Maler, sondern auch auf der der Holzschneider. Wie Nachahmer und neue Konvertiten immer „päpstlicher sind als der Papst“, so war es auch hier. Die Kühnheit der Manier artete in Rohheit aus, die Emanzipation von den abgestreiften akademischen Regeln glaubte man nicht besser dokumentieren zu können als dadurch, dass man allen Regeln der Natur und Kunst und zumal allen Anforderungen der Schönheit frech ins Gesicht schlug. Wenn aber auch die Holzschneider in dieser Beziehung nicht ganz von Schuld frei zu sprechen sind, so liegen in ihrem Fall doch Milderungsgründe vor. In dem Bestreben, den guten sowohl als auch den wahnwitzigen Eigenschaften der ihnen vorgelegten Originale gerecht zu werden, wurden sie zu allerlei verzweifelten Experimenten getrieben, die nur als solche und als Durchgangspunkte nach einem neuen Ziel betrachtet werden müssen.

Epochemachend und besonders lehrreich in dieser Beziehung ist ein doppelseitiger Zeitungsausschnitt von J. G. Smithwick nach C. S. Reinhart 6, das Austrommeln eines Tory während der amerikanischen Revolution darstellend, in „Harper’s Weekly“ vom 3.2.1877.

(Abb.)

Es ist dies, wenigstens soweit wir es wissen, der erste Schnitt, indem sich die neue Manier bemerkbar macht. Der Holzschneider hatte den Stock in der gewohnten Weise angefangen, sah aber bald genug ein, dass er die in Flächen hingesetzte Zeichnung auf diese Art nicht ausführen könne, ohne die Manier vollständig zu verwischen. Er entschloß sich daher, dieselbe Fleck für Fleck zu schneiden. Nicht ganz Unähnliches war allerdings schon geraume Zeit vorher in England versucht worden – man braucht nur beispielsweise den Schnitt von C. Roberts nach Herkomers „Christmas in a Home for the Poor“ der auch in „Harper’s Weekly“ im Dezember 1877 zur Verwendung kam mit Smithwick’s Schnitt zu vergleichen – aber ganz so konsequent war die Manier doch wohl noch nicht durchgeführt worden. Auch blieb der Versuch, wenigstens für den größeren Zeitungsschnitt längere Zeit ohne Nachfolge. Als wirklicher Ausgangspunkt der „Neuen Schule“ wird daher gewöhnlich eine Serie von Zeichnungen von J. E. Kelly 7 betrachtet, welche in den Jahren 1877-1878 in „Scribner’s Monthly“ erschienen und in ihrer Zeit viel bewundert und geschmäht wurden. Der erste derselben, ohne Namen des Holzschneiders, findet sich in dem Heft der genannten Monatsschrift für März 1877, Seite 581, ein zweiter auf Seite 585 trägt Smithwick’s Initialen. Ein Schnitt in derselben Manier, von Timothy Cole, ebenfalls nach Kelly, findet sich im August-Heft, 1877, Seite 452. Die meisten dieser Kelly-Schnitte rühren jedoch von Frederik Juengling her. Seine Arbeiten nach diesem Zeichner beginnen auf Seite 449 von „Scribners Monthly“ für August 1877 und dauern bis zum nächsten Jahrgang.

( Abb.) 

Den Originalen, welche diesen Schnitten unterliegen – meist Illustrationen zur Beschreibung von industriellen Unternehmungen, Szenen aus dem Polizeileben usw., mit besonderer Vorliebe für das Abenteuerliche und gewagt Positionen – läßt sich eine gewisse wilde Energie nicht absprechen. In augenscheinlichem Verrennen in die Manier wurden sie immer wüster und roher, sodass sie zuletzt mehr gepatzt als gemalt waren, Flächen, wie auch Farbkleckse an die Stelle abgerundeter Modellierungen traten, und die Zeichnung nur noch an das „Nahgenug“- Prinzip sich hielt, oder, um recht höflich zu sprechen, nur noch andeutend verfuhr. In der frappanten Manier dieser Zeichnung lag demnach ihre einzige Anziehungskraft: – man wunderte sich sehr über den Effekt, der mit scheinbar so wenig Mitteln und so wenig Mühe erzielt worden war. Es galt demnach in erster Linie diesen Effekt auch zu erhalten. Solche „Malereien“, in glatte Strichzeichnung übersetzt, wären ganz und gar unleidlich geworden. Das Sujet klar herauszuarbeiten genügte nicht mehr. Es war vielmehr zur ernsten Notwendigkeit geworden, die Manier und die Tonstimmung, soweit deren vorhanden war, so gut wie es eben gehen wollte, anzudeuten. Die einzige Möglichkeit aber, zu diesem Ziele zu gelangen, war die Erhaltung und die Wiedergabe der Flächen und Kleckse des Originals und ein genaues Studium der Tonabstufungen.

Was bisher von der Wiedergabe gemalter Vorlagen für Illustrationen gesagt wurde, gilt natürlich auch von der Interpretation wirklicher Gemälde. Die zart geschwungene graziöse, mit dem Stichel gezogene Linie, ganz gleich ob weiß oder schwarz, genügte nicht mehr, um einen Kopf wiederzugeben, der mit brutaler Energie aus lauter nebeneinander liegenden Facetten zusammengesetzt war und bei dem der Pinselstrich an und für sich eine bedeutende Rolle spielte. Wäre es nur nötig gewesen, die Porträtähnlichkeit festzuhalten, so würde die Manier des Holzschneiders weniger in Betracht gekommen sein. Es hätte sich höchstens darum handeln können, ob diese Manier für sich selbst betrachtet, mehr oder weniger schön, elegant, kräftig usw. gewesen wäre. Das Problem war jedoch ein ganz anderes. Allerdings mußte, falls ein Porträt vorlag, die Ähnlichkeit gewahrt werden, nebenher aber auch, und fast noch mehr, die „Mache“.  Denn diese war es ja, welche dem Publikum besonders in die Augen stach und vielen Leuten mehr galt als der dargestellt Mensch! Von diesem erwähnten Standpunkt aus müssen beispielsweise die Köpfe und Studien nach William M. Chase angesehen werden, welche in den Jahren 1880-1881 von dem schon genannten F. Juengling geschnitten wurden, der als der kühnste und rücksichtsloseste Experimentator unter den Pionieren der neuen Schule zu betrachten ist. Es ist leicht zu begreifen, dass einem Freunde der Kunst, gar einem in Ehrfurcht vor den Überlieferungen der klassischen Schönheit aufgewachsenen Meister,  angesichts solcher Arbeiten die Augen übergehen mußten. Aber als Versuche, ein neues Problem zu lösen, werden sie für immer ihr Interesse behalten (…)

Abb.

Man hat wohl zur Verdammung der ganzen Richtung sehr oft geltend zu machen gesucht, dass sie hauptsächlich sich mit peinlicher, mechanischer Nachäffung von Pinselstrichen abquäle und es kann nicht geleugnet werden, dass der Vorwurf in manchen Fällen zutrifft. Allein er haftet nur an den geistlosen Nachahmern. Von den Führern der Bewegung kann man sagen, dass sie im Pinselstrich eben nicht nur den Pinselstrich sehen oder zu sehen glaubten, sondern ihn als das Mittel zur Erreichung eines künstlerischen Zweckes auffassten und als solches auch festhielten. (…) Wenn der Maler in der Vegetation z.b. nur auf Massen sieht, die sich einfach durch Farbe und Wert bemerkbar machen, so ist eine Detailbehandlung bei dem Holzschneider, der nicht aus seiner Rolle als Interpret fallen will selbstverständlich ganz außer Frage. Es bleibt auch ihm nichts weiter übrig als sich an die Massenwirkung mit Beibehaltung der Farben und der Werte zu binden.

Die Folge dieser Bestrebung können ganz kurz gefasst unter vier Punkte summiert werden: Erstens, große Ausbildung des Farbensinnes und Wertgefühles; zweitens, Versuch, sich der Linie als zeichnerischen aber nicht malerischen Mittels gänzlich zu entledigen; drittens und teilweise als Konsequenz des zweiten Punktes, immer weitere Kultivierung des schon früher beliebten Feinschnitts, manchmal bis zur Undruckbarkeit; viertens, allerlei Experimente, geglückte und mißglückte, die Eigenart der verschiedensten Medien wiederzugeben, nicht etwa nur der Ölfarbe, wie sich dieselbe in Auftrag und Pinselführung ausdrückt, sondern auch der Kohle , der Kreide, des Bleistifts, der Wasserfarbe usw. Dies wurde so weit getrieben, dass man sogar den Unterschied zwischen Lasur und Deckfarben im Aquarell und selbst das Korn des Papiers an weiß gelassenen Stellen (welches allerdings anders wirkt als die glatte Oberfläche des Druckpapiers), anzudeuten versuchte.

Unwillkürlich drängt sich einem die Frage auf, ob es denn wirklich der Mühe wert war, die Lösung dieser Aufgaben überhaupt zu versuchen. Betrachtet man den Holzschnitt allein als das, was er ist, – als reproduktive und interpretierende Kunst, – so wird man wohl mit Ja antworten dürfen. Es hieß nicht mehr „Herr X hat ein schönes Porträt des Herrn Y gezeichnet“,  sondern „Herr X hat eine Kohlezeichnung von Herrn Y gemacht“.
Man wollte daher die Kohlezeichnung sehen, weit mehr, als das Porträt, und der Holzschneider mußte dem Verlangen gerecht werden. (…)

Der rein technische, sich stark zum Dekorativen neigende Zug der neueren amerikanischen Kunst ist schon erwähnt worden, ebenso die Abneigung gegen alles Vorhergegangene. (…) In manchen Kreisen galt ein fertig gemaltes Bild kaum noch für ein Kunstwerk. Alles mußte Skizze sein, und wenn diese Skizze ein Stück der Leinwand frei ließ, desto genialer! Und das alles wurde im Holzschnitt nachgeahmt, bis auf Risse im Papier, zerlumpte Ecken, Spuren von Zeichenzwecken und Schmutzflecken. Galt es die Wiedergabe eines alten Gemäldes, so wurden sogar selbst die tausende von Rissen und Sprüngen im Firniss mit chinesischer Geduld nachgekratzt und was der gleichen krauses Zeug mehr ist. (…) Es ist zu konstatieren, dass in dem einseitigen Streben nach Tonalität und nach Andeutung der Eigenart oder der Textur der Medien nur zu oft die Texturen der verschiedenen dargestellten Stoffe gänzlich übersehen werden. Dieser Mangel macht sich zumal oft und unangenehm in der Behandlung des Fleisches bemerkbar, welches trotz alles Feinheit der Abtönung und der Behandlung nicht selten etwas Hölzernes hat, – ein Vorwurf, dem sich selbst der vortreffliche „Alte Professor“ nach Duveneck , von Juengling gestochen, nicht gänzlich entziehen kann, ob er gleich sonst eines der Meisterwerke der „Neuen Schule“ und der erste amerikanische Holzschnitt ist, der auf dem Pariser Salon eine Auszeichnung erhielt.

( Abb.)

Endlich ist noch der Ausspruch , dass der Hauptgewinn der neuen Bewegung in der hohen Ausbildung des Farben- und Wertgefühles zu suchen sei, durch eine Qualifikation zu beschränken: – das Farbengefühl kommt manchmal durch das übermäßige Streben nach zarter und tiefer Tonstimmung in Gefahr, verloren zu sehen. Dass all diese Versuche und Bestrebungen lebhaften Widerspruch erregten und dass dagegen häufig und energisch Protest eingelegt wurde, versteht sich von selbst. Aus dem Vorhergehenden ergibt es sich auch, dass solcher Widerspruch nicht immer unbegründet war. Im Großen und Ganzen jedoch schoss er über das Ziel hinaus, indem er es selbst nicht richtig erkannt hatte. Als Chorführer der konservativen Opposition ist W.J. Linton, der schon erwähnte berühmte englische Holzschneider, zu nennen. Das große Interesse, welches das Publikum für den Gegenstand entwickelte, fand Ausdruck in einer Kontroverse, die längere Zeit in der Presse wütete und an der sich sogar einige Tagesblätter mit Leitartikeln beteiligten. Eines der schönsten Resultate dieser weit reichenden Teilnahme war die Ausstellung amerikanischer Holzschnitte im Kunstmuseum zu Boston (11.Oktober  – 27.November 1881), welche in mehr als 600 Nummern die Geschichte des Holzschnitts zur Anschauung brachte.

Es ist unmöglich,  hier alle Namen zu nennen, welche genannt werden müßten, wenn der Gerechtigkeit genügt werden sollte und der Raum es erlaubte. (…) Timothy Cole ist schon erwähnt worden. Durch seine eigenen Verdienste sowohl als auch durch seine enge Verbindung mit dem „Century Magazin“ ist er vielleicht berechtigt, als der bekannteste unter allen jetzt lebenden amerikanischen Holzschneidern genannt zu werden. Ein hervorstechender Zug seines künstlerischen Wesens ist seine erstaunlichen Versalität. Wenn man eine Sammlung seiner Arbeiten durchsieht, kann man sich nicht genug wundern über die Mannigfaltigkeiten der Ressourcen, die ihm zu Gebote stehen und die sich von der wildesten Zügellosigkeit der „Neuen Schule“ bis zur tadellos klassischen Linie erstrecken. (…)

(Abb.)

Frederick Juengling ist, wie schon gesagt wurde, als einer der hervorragendsten Pioniere der neuen Richtung zu bezeichnen. Ein kühner, unerschrockener Experimentator, ein Enthusiast und zum Doktrinarismus geneigt. Obgleich abgesagter Feind aller alten Traditionen und Regeln, ist er verantwortlich für vieles von dem Krausesten, was die Bewegung hervorgebracht hat. Dagegen finden sich unter seinen Arbeiten, die von kleinsten Feinschnitt bis zum größten doppelseitigen Zeitungsblatt reichen, die wunderbarst zusammengestimmten Tonschnitte, die man sich denken kann. Man muß aber Juengling’s Arbeiten in historischer Folge durchsehen, um seine ganze Einzigartigkeit und seine Bedeutung für die Geschichte des Holzschnitts begreifen zu können. (…) Daß Juengling der erste amerikanische Holzschneider war, der im Salon ehrend erwähnt wurde, ist schon berichtet worden. Hinzuzufügen ist noch, dass ihm auf der letzten internationalen Ausstellung in München eine Medaille 2. Klasse zuerkannt wurde.

(Abb.)

Gustav Kruell ist wiederum hauptsächlich als Holzschneider im Porträtfache bekannt und gesucht, obgleich er auch in anderer Richtung vortreffliches leistet. Kruell gehört zu denjenigen, welche den neuen Bestrebungen mit Interesse und Verständnis gefolgt sind, ohne sich von ihnen auf Irrwege reißen zu lassen. Merkwürdig glücklich in der Behandlung des Fleisches, hat er darüber weder andere Texturen noch Farbe oder Tonwirkung vernachlässigt. (…)

(Abb.)

Es dürfte hier vielleicht nicht ganz unpassend sein, einige Worte über die Herkunft der amerikanischen Holzschneider zu sagen. Wie sich fast von selbst versteht, stammen sie aus aller Herren Länder. Juengling, Kruell, Müller kennzeichnen sich sofort als deutsche Namen. Smithwick ist irländischer Abkunft. Closson und Cole dagegen sind Vollblutamerikaner, d.h. sie stammen aus Familien, die schon seit Generationen im Lande ansässig sind.8 Aber selbst die in Europa Geborenen sind als Amerikaner zu betrachten, da ihre Entwicklung und Ausbildung zu dem, was sie jetzt sind, ganz diesem Lande angehört. Unter den Deutschen ist Kruell als Deutscher wohl der Bekannteste, da er vor seiner Übersiedlung schon ein eigenes Atelier in Stuttgart hatte.9 Man braucht daher nur seine früheren Arbeiten, z B. für den Stuttgarter Bilderbogen, mit seinen heutigen Leistungen zu vergleichen, um sich über die erstaunliche Wandlung klar zu werden. Es ist nicht sowohl eine Weiterentwicklung als vielmehr eine vollständige Neubildung, die sich da dokumentiert, und der Genannte selbst ist auch gern bereit zu gestehen, dass er eigentlich erst hier als Holzschneider zum Künstler geworden sei. Ebenso, nur in noch höherem Grade, verhält es sich mit Juengling, der übrigens schon sehr jung nach Amerika kam.10 Eine Verwandtschaft zwischen seinen jetzigen und früheren Arbeiten zu erkennen ist kaum möglich.  Es würde also vollständig berechtigt sein, von amerikanischen Holzschneidern und einem amerikanischen Holzschnitte zu sprechen, selbst wenn noch weit mehr der Ersteren in Europa geboren wären.

Dies bringt uns zu einem zweiten Faktor in der Geschichte der Entwicklung der Kunst in den Vereinigten Staaten, der bisher noch nicht berührt worden ist, zu dem Einfluß der Verleger. Zwei Firmen sind es, welchen die Ehre hauptsächlich zuzusprechen ist, dass sie dem neuen amerikanischen Holzschnitt das Feld bereiteten, auf dem er sich zu der jetzigen Blüte entfalten konnte – die Verleger des „Century Magazine“ (früher „Scribners Magazine“) , die zuerst die Wichtigkeit der neuen Richtung erkannten und sich ihrer annahmen, so dann die ältere Firma Harper & Brother , ebenfalls in New York, die der jüngeren auf dem Fuße nachfolgte (…) Die Verleger erschufen den Bedarf, die Holzschneider warteten schon der Gelegenheit und das Publikum war günstiger Stimmung. Dazu kam noch die große Liberalität der Verleger, wenn es galt ein gewisses Ziel zu erreichen, ein guter Zug der dem amerikanischen Leben überhaupt eigen ist. Da wird nicht nach dem Zoll gemessen, und dafür der genaueste Preis bedungen. Die Hauptsache ist, wie kann die Arbeit gut gemacht werden! Was sie kostet bleibt späterer Erwägung überlassen. Nur auf diese Weise läßt sich das wahrhaft Künstlerische erreichen und auf diese Weise sind denn auch die besten Leistungen
der amerikanischen Holzschneidekunst entstanden. (…)

Nichts gibt einen besseren Einblick in die ganze Entwicklung, als wenn man eine der letzten Bände dieser Zeitschriften mit dem Jahrgang von 1876 oder selbst noch den nächstfolgenden Jahrgängen vergleicht. Die Umwandlung ist großartig: Hier Dürre und Kälte, dort ein Reichtum , eine Saftigkeit, eine Farbe, eine Wärme (freilich oft genug begleitet von den angedeuteten Übelständen), wie man sie dem Holzschnitt kaum zutrauen würden. Allerdings ist es um den vollen Wert dieser Arbeiten beurteilen zu können , bei ihnen noch nötiger als bei dem älteren Holzschnitt, sie in guten Abdrücken zu sehen, denn die Dampfpresse kann selbst mit der heutigen Vervollkommnung, der sorgfältigsten Fertigmachung, dem besten Papier und der feinsten Schwärze, dem modernen Feinschnitt nicht immer gerecht werden. Von der Hand aber kann man die wirklich große Schönheit der amerikanischen Arbeiten in ihrer höchsten Vollendung nur in einer Sammlung von Probedrucken recht würdigen. Eine solche Sammlung ausgewählter Schnitte durchzusehen, zumal sie auf dünnes japanischen Papier gezogen und fliegend montiert sind, ist ein wahrer Hochgenuß, und es ist zum Verwundern, dass das Sammeln solcher Abdrücke von Privaten und in Kunstmuseen nicht ebenso beliebt ist, wie das Sammeln von Radierungen und Stichen. Unseres Wissens existiert bisher nur eine einzige öffentliche Sammlung in den Vereinigten Staaten im Kunstmuseum zu Boston. (…)

Es ist bereits von der gehobenen künstlerischen Stimmung die Rede gewesen, in welche der neue Aufschwung die Strebsamen und Ehrgeizigen unter  den amerikanischen Holzschneidern versetzt hat. Sie findet ihren lebhaftesten Ausdruck darin, dass die meisten von ihnen mit großem Eifer dem Studium des Zeichnens und Malens obliegen. Ebenso ist der Zweck der „Society of American Wood- Engravers“ ein Zeichen, welches nach derselben Richtung weist. Die Gesellschaft ist nicht etwa eine „Trades Union“ zum Schutz gegen Principale und Aussauger und zum Hinaufschrauben der Löhne, ihr Ziel ist vielmehr ein rein künstlerisches – „the advancement of art in wood – engraving“ wie es die Konstitution ausdrückt, d.h. „die Förderung der Kunst im Holzschnitt“. Demselben Bestreben sind auch die vereinzelten Versuche zuzuschreiben, den Holzschnitt zur selbständigen Kunst zu erheben. (…)

Die Zukunft der amerikanischen Holzschneidekunst kann nach alledem als eine große bezeichnet werden, vorausgesetzt, dass ihr Gelegenheit geboten wird, ihre Kräfte an immer würdigeren Aufgaben zu erproben. Eine solche Gelegenheit ist kürzlich Timothy Cole geboten worden, der während der nächsten Jahre im Louvre und in Italien direkt vor den Originalen eine Serie von Schnitten nach Bildern alter Meister (für das „Century Magazine“) ausführen wird.11 Ebenso wünschenswert aber wäre es, und in mancher Beziehung sogar noch wünschenswerter, wenn der Holzschnitt in größerem Stil und mit rein künstlerischen Zielpunkten arbeiten dürfte; denn in der fortdauernden Kleinheit des Formats und in den Beschränkungen , welche bei Illustrationen die Rücksicht auf das große Publikum gebietet, liegt die Gefahr der Verkümmerung. Die Holzschneider sehnen sich herzlichst nach solch erweiterter Tätigkeit. Hoffen wir, dass es ihnen bald ermöglicht werde!

S.R. Koehler

Anmerkungen

1 Der Beitrag wurde verfasst für Carl von Lützow´s Monumentalwerk: Der Holzschnitt der Gegenwart in Europa und Nord-Amerika, Wien 1887

2 William James Linton, The History of American Wood Engraving. New York, 1882

3 Gemeint ist der zentrale Einfluß der Düsseldorfer Malerschule auf die populäre Landschaftsmalerei der „Hudson River School“ zu Mitte des 19. Jhds

4  Etliche der amerikanischen Impressionisten wie Walter Shirlaw, Frank Duveneck  John Twachtman, Charles Ulrich und William Merrit Chase hatten  in München u.a. bei Karl von Piloty und Wilhelm Leibl studiert.

5 Die Goldmedaille für William Merritt Chase in Philadelphia markierte  den Durchbruch des amerikanischen Impressionismus. Chase gehörte zusammen mit dem “Münchner Amerikaner” Twachtman zu den Gründungsmitgliedern des „Tile Club“.

6 Charles S. Reinhart gehörte neben anderen wichtigen Illustratoren von “Harpers Weekly” wie Winslow Homer und Edwin A. Abbey ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des „Tile Club“.

7 James Edward Kelly, Illustrator vornehmlich von Szenen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.

8 Hier irrt Koehler. Timothy Cole ist 1852 in London geboren.

9 Gustav Kruell war neben Cole der bekannteste Exponent des künstlerischen Holzstichs in Amerika. Geboren 1843 in Düsseldorf, war er vor seiner Emigration  im Jahr 1871  zuerst in Düsseldorf für Brendamour tätig, danach in Leipzig, so wie in Stuttgart mit einer eigenen Firma, dem xylographischen Atelier  Kruell & Michael. Mit Juengling zusammen gründete Kruell 1881 die  Society of  „American Wood Engravers“ (SAWE), deren erster Präsident er war.

10 Friedrich Juengling, geb. 1846 in Leipzig, übersiedelte nach einer abgeschlossenen Holzstecherlehre 1866 in die USA. In New York studierte er  Malerei  an der Art Students League u.a. bei Walther Shirlaw.  Eine Zeit lang betrieb er eine eigene xylographische Werkstatt mit angeschlossener Buchdruckerei. Juengling starb nur wenige Jahre nach der Abfassung von Koehlers Beitrag im Alter von 43 Jahren.Es heißt, infolge gesundheitlicher Zerrüttung durch Überarbeitung.

11 Cole verbrachte im Auftrag des „Century Magazine“ von 1883 an insgesamt siebenundzwanzig Jahre in Europa und produzierte  dort zusammen mit seinem Verlag eine ganze Reihe von umfangreichen Reproduktionswerken nach Gemälden italienischer, niederländischer, spanischer und britischer Meister, die ihm etliche internationale Auszeichnungen einbrachten.

 

related Posts

]
[