Alexander Roob]
[August 1, 2025
Jenseits von Elysium – Zu dem Druck: Casp Lavater, Felix Hess und Heinrich Fuessli bey Spalding zu Barth in Schwedisch Pommern im Jahr 1763, nach Heinrich Füssli: Berlin–Basel 1810 Zu dem Druck: Eberhard Siegfried Henne nach Heinrich Füssli: Casp Lavater, Felix Hess und Heinrich Fuessli bey Spalding zu Barth in Schwedisch Pommern im Jahr 1763, Berlin–Basel 1810
Diese großformatige Radierung in der Sammlung des Melton Prior Instituts, gestochen von E. S. Henne nach einer verlorenen Grisaillemalerei Heinrich Füsslis, dokumentiert ein Schlüsselereignis der aufklärerischen Freundschaftskultur im deutschsprachigen Raum. Dargestellt ist der Besuch der drei jungen Zürcher Johann Caspar Lavater, Felix Hess und Heinrich Füssli beim protestantischen Theologen Johann Joachim Spalding im pommerschen Barth. Der Hintergrund: eine vorübergehende Flucht der drei Freunde aus Zürich, ausgelöst durch ein aufrührerisches Pamphlet gegen den Landvogt Grebel.

Lavater, Hess und Füssli gehörten zum Umfeld des Zürcher Germanisten Johann Jakob Bodmer, des Vermittlers englischer Literatur in der Schweiz und Mentors des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock. Bodmer hatte Klopstock früh gefördert und dessen Messias gegen alle Rationalismuskritik verteidigt. In dieser Linie bewegten sich auch seine Schüler, die sich mit einer pietistisch geprägten Empfindsamkeit von der klassischen Aufklärung absetzten.
Ein zentrales Detail der Szene ist das an der Rückwand der Gartenlaube befestigte Blatt mit Versen aus Klopstocks Zürichsee-Ode. Diese Rückbindung an den Zürcher Freundschaftskult stellt eine Art Gegenbesuch dar: Die einst am Zürichsee erlebte Epiphanie wird nun in Pommern reinszeniert – „Elysium“ erscheint dabei als Chiffre emotionaler Intensität und grenzüberschreitender Nähe.


Die Komposition folgt der Gattung des Konversationsstücks in hogarthscher Manier: Die Figuren sind in einem gestaffelten Raum szenisch verteilt, mit klaren Rollen. Lavater ist als konzentrierter Zuhörer im Zentrum positioniert, Spalding im Redegestus vertieft, Felix Hess vermittelt zwischen den Gesprächspartnern. Am rechten Bildrand hingegen tritt Füssli ins Bild – skizzierend, mit dem Blick jedoch nicht auf die Konversation, sondern deutlich auf die junge Frau am linken Rand gerichtet. Diese Blickführung verweist auf eine bewusst inszenierte Ambivalenz: Der Bildreporter ist kein neutraler Beobachter, sondern agiert – ganz im Sinne William Hogarths – als satyrhaft intervenierender Zeuge. Füsslis Haltung erinnert dabei auffallend an Hogarths Selbstinszenierung im Gate of Calais, wo er am Bildrand als Zeichner unter Spionageverdacht auftauchte.



Füsslis triebgesteuerte Konterkarierung des bürgerlichen Elysiums weist jedoch vor allem auf das Vorbild von Klopstocks libidinösen Regelbrüchen zurück, mit denen dieser vor allem Bodmer schockiert hatte,- es war damals zu einem öffentlichkeitswirksamen Bruch zwischen den beiden gekommen- und sie weist voraus auf den Heroismus der Tabubrüche und der Entgrenzung, die Füsslis erst Jahre später in England einsetzende künstlerische Karriere kennzeichnen sollte. Auf dem Rückweg in die Schweiz lernten die drei Schüler Bodmers dann ihr Idol Klopstock persönlich kennen. Bei diesem Zwischenstopp in Quedlinburg war Klopstock von Füsslis grafischem Talent, der bislang nur als Dichter exaltierter Oden hervortreten war, derart beeindruckt, dass er ihn für die Illustrierung seines Messias in Betracht zog.
Im Zentrum der Inszenierung in der bühnenartigen Gartenlaube in Barth steht Spalding, der als eine der wichtigsten Figuren der deutschen Aufklärungstheologie gilt. Sein bekanntestes Werk, die Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748), formuliert ein frühpsychologisches Modell, das von einer Durchlässigkeit zwischen Innerem und äußerem Ausdruck ausgeht. „Wenn wir uns selbst und andere genau beobachten, so merken wir bald, wie sich innere Beschaffenheit in äußerer Haltung, im Blick und im Ton der Rede ausdrückt.“(Spalding, Bestimmung des Menschen, § 19) Spaldings Ansatz beeinflusste Lavater nachhaltig und fand in dessen Physiognomik eine eigensinnige Popularisierung.
Laut Unterzeile der Radierung wurde Füsslis Originalbild „zum dankbaren Angedenken“ an den achtmonatigen Aufenthalt auf die Rückwand der dargestellten Gartenlaube in Spaldings Garten gemalt. Mit Spaldings Berufung nach Berlin wurde es in die dortige Nikolaikirche überführt. Der Druck erschien 1810, zu einer Zeit, als von der Freundesgruppe nur noch Füssli am Leben war und das Bild des Elysiums als glorreiche Versammlung im Jenseits mit dem Tod Klopstocks enorm an Popularität gewonnen hatte.
