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Drawing Protest – Grafik der Auflehnung, 1525 – 1970. Eine kommentierte Bildstrecke.

Eine Bildstrecke mit Materialien aus dem Archiv des Melton Prior Instituts, Düsseldorf, in Kooperation mit der Ausstellung “Im Zeichen des Protests / Drawing Protest”, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, 19.10.2013 – 09.01.2014, kuratiert von Olga Vostretsova

01) Barthel Beham, „Der Welt Lauf“, Kupferstich, Nürnberg 1525

Der Nürnberger Künstler Barthel Beham gehörte einer Gruppierung sozialrevolutionärer Künstler aus dem Dürer-Umkreis an, die von Thomas Müntzer, dem Theologen der Bauernbefreiung, beeinflusst waren. In der Grafik gibt er seiner tiefen Verzweiflung über die blutige Niederschlagung der Bauernaufstände Ausdruck. Behams politische Melencholia stellt die Justitia ohnmächtig in Ketten vor. Der Fuchs, der verschiedentlich als Symbol für den konterrevolutionären Martin Luther interpretiert wurde, hat ihr das Richtschwert entrissen und treibt damit nun unter den wehrlosen Kreaturen sein Unwesen.

02) Anon., „Man muss hoffen, dass dies Spiel bald endet“, kolorierte Radierung, Paris 1789

Auch zu Zeiten der französischen Revolution äußerte Protest sich bildnerisch nicht frontal, sondern bevorzugt in allegorischer oder emblematischer Form. Weit verbreitet in allerlei Variationen war das systemkritische Bild eines aus den Fugen geratenen sozialen Zusammenhangs, bei dem der dritten Stand als alleiniger Lastenträger unter dem Gewicht des fetten Adels und des Klerus zusammenzubrechen droht.

03) James Gillray, „The Zenith of French Glory: – The Pinnacle of Liberty“, Aquatinta Radierung, London 1793

Aufständische waren an der Verbreitung von Darstellungen des Aufstandsselbstnicht interessiert. Bilder, die Empörung oder den Umsturz selbst zum Gegenstand hatten, gehörten vielmehr zum Repertoire der Gegenpropaganda. In der Karikatur von James Gillray werden die Revolutionsereignisse beispielsweise als Ausgeburt eines tollwütigen Mobs dargestellt.

04) Thomas Spence, „The Civil Citizen“, Radierung, 1796

Der englische Frühkommunist Thomas Spence propagierte seinen Plan einer egalitären Gesellschaftsreform durch eine Reihe sehr prägnanter Emblemata, die er bevorzugt in der Form von Graffitikampagnen oder auf selbst geprägten Münzen in Umlauf brachte.

05)  William Hone & George Cruikshank, “These Are The People”, Holzstich, The Political House that Jack built, London 1819

Gegenstand des enorm populären Bildpamphlets ist das sogenannte Peterloo -Massaker. Es handelte sich um eine Großdemonstration für Meinungsfreiheit und allgemeines Wahlrecht, die auf dem St. Peters Field bei Manchester von Kavallerietruppen blutig niedergeschlagen wurde. „Peterloo“ (mit Anspielung auf Waterloo) wurde zu einer Ikone des Liberalismus und der frühen Arbeiterbewegung, die in unzähligen Drucken verbreitet wurde. Erstmals wurde damit die Darstellung einer Demonstration zum Gegenstand kritischer Bildpublizistik und bekam damit der Protest selbst ein Gesicht.

06)  William Hone & George Cruikshank, “The Freeborn Englishman”, Holzstich, in: A Slap at Slop and the Bridge Street Gang, London 1821

Die Darstellung geknechteter Meinungsfreiheit spielt auf eine Reihe von Verurteilungen radikal-liberaler Publizisten an. Das oft kolportierte Motiv geht auf eine Karikatur aus dem Umkreis des mehrfach inhaftierten Thomas Spence in den 1790er Jahren zurück.

07) Honoré  Daumier, “C’était vraiment bien la peine de nous faire tuer ! ” (Und dafür waren wir bereit, unser Leben zu herzugeben?), Lithographie, La Caricature N° 251, Paris 27. 8. 1835

Entsetzt erheben sich angesichts der vielen Unterdrückungsmechanismen, mit denen die Julimonarchie ihre Macht zu stabilisieren suchte, die Opfer der Revolution, die diese hervorgebracht hatte, aus ihren Gräbern. Gemeinsam mit anderen Zeichnern des legendären satirischen Magazins entwickelte Daumier das Motiv des wehrhaften, heroischen Proletariers, das Jahrzehnte später in der sozialistischen Publizistik Karriere machen sollte.

08) Wilhelm Kleinenbroich, „Der neue Prometheus“, Lithographie, Düsseldorf, 1842

Der griechische Titan Prometheus ist neben dem hebräischen Erzengel Satan das bekannteste Symbol für Rebellion und Protest. In der bärtigen Darstellung des anonym erschienenen Blatts des Kölner Künstlers Kleinenbroich glaubte man den unter preußischer Pressezensur leidenden Chefredakteur der Rheinischen Zeitung, Karl Marx , erkennen zu können.

09) Gustave Courbet, “Vive La Republique”, Holzstich, Le Salut Public no.2., Paris 1848

Der Holzstich für Charles Baudelaires Journal zur 48er Revolution wurde nach einer Zeichnung von Gustave Courbet angefertigt. Er spielt auf  Delacroix´ ikonische Darstellung “La Liberté guidant le peuple” von 1830 an. Zentral ist das Motiv der Barrikade als Sinnbild des Widerstands.

10)  Anon., “L´attaque a´ lábri des bouchers”, L´Illustration, Holzstich, Paris 1848

Die 48er Revolution war die erste Erhebung, die von der illustrierten Tagespresse dokumentiert werden konnte. In vereinzelten Pressegrafiken lässt sich bereits die Verwendung fotografischer Aufnahmen nachweisen. Die Visualisierung von Protest bekam dadurch eine prosaische, retinale Dimension.

11) Alfred Rethel, „Auch ein Todtentanz, Viertes Blatt“, Holzstich, Leipzig 1849

Die Holzstichfolge des nazarenischen Historienmalers, die den Protest als eine zerstörerische Kraft dämonisiert, zählte zu den international einflussreichsten Erzeugnissen konterrevolutionärer Bildpropaganda.

12) Gustave Doré, „Kommunarde“,  Linienätzung, Versailles et Paris en 1871 d´apres les dessins originaux, Paris 1907

Der populäre Illustrator zeichnete während der Tribunale gegen die Pariser Kommunarden in Versailles eine Reihe von beißenden Charakterstudien. Die Publikation, die erst Jahrzehnte erschien, enthält Porträtstudien sowohl von Angehörigen der Versailles Regierungsadministration als auch von den Kämpfern der Kommune.

13) Arthur Boyd Houghton, “Paris under the Commune – Women´s Club at the Boule Noire, Boulevard Rochechouart”,  Holzstich, The Graphic, 08.04.1871

Der Anteil revolutionär gesinnter Frauen bei den Ereignissen der Pariser Kommune war  erheblich. In der Abbildung des britischen Magazins „The Graphic“ wird die Szenerie eines der berühmten Clubs, in dem die Revolutionärinnen organisiert waren, in der Art eines infernalischen Hexensabbat vorgestellt. Van Gogh fühlte sich bei den fantasievollen Arbeiten des Pressezeichner Arthur Boyd Houghton an die Grafiken Goyas erinnert.

14) H. Balling, “Mrs Woodhull asserting her right to vote”, Holzstich, Harper´s Weekly, 25.11.1871

Die bekannte Frauenrechtlerin, Journalistin und Börsenmaklerin Victoria Woodhull protestierte 1871 nicht nur gegen den Ausschluss vom Wahlrecht, sondern sie trat wenig später auch sehr selbstbewusst als erste Präsidentschaftskandidatin an.

15) Alfred Le Petit, “A Choisir!”, Gillotage, Le Grelot, Paris, 23. 6. 1872

Der Protest gegen Zensurmaßnahmen verführte die Grafiker der französischen Karikaturmagazine immer wieder zu verblüffenden, revolutionären Bildfindungen. Alfred Le Petit umgeht hier beispielsweise das Bildverbot der Vorzensur, indem er den Entwurf auf sein kompositorisches Skelett reduziert und den Inhalt als reinen Text referiert.

16) Thomas Nast, “Nay, Patience, or we break the sinews (Shakespeare)”, Holzstich, Harpers Weekly, New York,  5.5. 1877

Kein Künstler hatte je einen größeren politischen Einfluss als der nordamerikanische Pressezeichner Thomas Nast mit seinen Cartoon-Kampagnen gegen die Demokratische Partei, gegen Anarchie, Kommunismus, Korruption, Finanzmarktexzesse und Umweltverschmutzung.

17) Anon., “The Great Strike- The Sixth Maryland Regiment fighting its way through Baltimore”, Holzstich, Harper´s Weekly, New York, 11.8.1877

Der große Eisenbahnerstreik (The Great Railroad Strike), der in der Hochphase der langen Wirtschaftsdepression stattfand, markierte den Auftakt einer langen Reihe von erbitterten Arbeitskämpfen in Nordamerika und in Europa.

18) Div., „Riots at the West-End of London“,  Linienätzung, The Illustrated London News, 13.2. 1886

Den Arbeiteraufständen im Londoner Westend war eine Demonstration der von Henry Hyndman gegründeten ersten britische sozialistischen Partei, der „Social Democratic Federation“, vorausgegangen. Der Beitrag der „The Illustrated London News“ geht auf die Arbeitslosigkeit im Londoner East End ein.

19) Walter Crane, „The Capitalist Vampyr“, Linienätzung,  Cartoons for the cause – Designs and verses for the Socialist and Labour Movement 1886-1896 , London 1886

Der Zeichner Walter Crane war ein Begründer des britischen Arts and Crafts Movements. Gemeinsam mit William Morris trat er 1884 der „Social Democratic Federation“ bei, für deren Parteijournal “Justice” er 1885 den „Capitalist Vampyr“ zeichnete. Cranes sozialistische Cartoons wurden 1886 in einem populären Sammelband publiziert.

20) Anon., “The Riot in Trafalgar Square”, Linienätzung, The Graphic, 19.11. 1887

Die  blutigen Auseinandersetzungen während einer Großdemonstration, die gemeinsam von der „Social Democratic Federation“  und der „Irish National League“ organisiert war, gingen als “Bloody Sunday” in die Annalen der europäischen Arbeiterbewegung ein. Auch William Morris und Walter Crane  gehörten zu den Teilnehmern.

21) Paul Renouard, “Fight at the bottom of Parliament Street”, Autotypie, The Graphic, 19.11. 1887

Der französische Zeichner Paul Renouard, der zeitweise als „special artist“ in London arbeitete, brachte ein impressionistische Anschauung in die englische Pressegrafik ein.

22) Theophile Steinlen, “L´ Attentat du Pas-De-Calais”, Gillotage, Le Chambard Socialiste No. 1, 16.12.1893

Theophile Steinlen wurde mit den Titelblättern, die er für eine Reihe von sozialistischen und anarchistischen französischen Magazinen zeichnet, zu einem der wichtigsten Wegbereiter der sozialistischen Grafik des 20. Jdts.

23) Anon., „Manifestations des Suffragettes a Londres“, Autotypie, Le Petit Jounral, 21.6.1908

Eine Darstellung der britischen Suffragetten-Bewegung in der französischen Boulevardpresse.


24)  G.S.. Amato, “The Universal Suffrage Riots in Brussels”, Autotypie, The Illustrated London News, 19.4.1902

Aus einem Bildbericht über einen von den liberalen und sozialistischen Parteien Belgiens organisierten Aufstand, dem ein Bergarbeiterstreik vorangegangen war.

25) Käthe Kollwitz, “Losbruch (Charge aka Revolt)”, Radierung, Berlin 1902 / 1903

Käthe Kollwitz war die Lieblingskünstlerin des chinesischen Dichters Lu Xun, der in den 1930er Jahren in Shanghai die neue chinesische Holzschnittbewegung begründete. Mit diesem fünften Blatt aus ihrem grafischem Zyklus “Der Bauernkrieg” schuf Kollwitz die Vorlage für den Topos „Flut des Zorns“ der chinesischen Revolutionsgrafik. Paradoxerweise prägte die pazifistische Künstlerin damit das Muster eines der kriegerischsten Ikonen des Jahrhunderts.

26) Henri-Gustave Jossot,  „Les Gardiens de la Paix“, Autotypie, Assiette au beurre, No. 150, 13.2. 1904

Henri-Gustave Jossot widmete sich in dieser Ausgabe des legendären anarchistischen Künstlermagazins “Assiette au beurre” dem Thema der  Polizeigewalt, die er auf genüssliche Weise als sinnlose Akte eines barbarischen Obrigkeitsstaats zu entlarven sucht.

27) Jules Grandjouan, „A bas Monopoles“,  Autotypie, Assiette au beurre, No. 149, 6.2.1904

Jules Grandjouan zählt neben Theophile Steinlen zu den Wegbereitern der Revolutionsgrafik des 20. Jdts.

28) Fritz Koch-Gotha, „Berlin am ersten Tag der Revolution“, Offset, Berliner Illustrirte Zeitung, 24.11.1918

Der Chefillustrator der Berliner Illustrirte Zeitung versucht sich in seiner skizzenhaften  Dokumentation der Berliner Novemberrevolution jeglicher Parteinahme zu enthalten.

29) William Siegel, “The Mooney Case”, Autotypie, The New Masses, April 1932

Der kommunistische Grafiker William Siegel schildert in diesem Strip den Fall um den inhaftierten Gewerkschaftsführer Tom Mooney, der 1916 im Zusammenhang mit einem Bombenattentat zum Tod verurteilt worden war.  1918 war  das Urteil aus Mangel an Beweisen auf Druck der Weltöffentlichkeit in eine Haftstrafe umgewandelt worden.

30) Li Hua, “Flut des Zorns (Flood of rage)”, Holzschnitt, Guangzhou, 1947

Li Hua zählt zu den wichtigsten Vertretern der neuen chinesischen Holzschnitt- Bewegung, Es handelt sich bei dieser von Käthe Kollwitz inspirierten Grafik um das bekannteste Blatt seiner populären „Raging Tide“- Serie von 1947.

31)  William Gropper,  “The Yanks are not coming” , Autotypie, The New Masses, 7.5.1940

Die Doppelseite aus der legendären marxistischen Illustrierten bezieht sich auf einen bekannten Anti-Kriegsslogan amerikanischer Kommunisten, der kurze Zeit später mit dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion obsolet wurde.

32) James Barre Turnbull,  „Organized workers against the politics of appeasement“, Bleistift mit Deckweiß, ca. 1940

Antifaschistischer Plakatentwurf des amerikanischen Cartoonisten und Malers James Barre Turnbull.

33) Paul Hogarth, “Tony Ambatielos”, Offset, Defiant People. Drawings of Greece Today, London 1952

1952 kam der britische Künstler Paul Hogarth nach Athen, um dort den Prozess der von amerikanischen und englischen Interessen gestützten Militärdiktatur gegen den kommunistischen Gewerkschaftsführer Tony Ambatielos zu zeichnen.

34)  Paul Hogarth, “The Tribunal”, Offset, Defiant People. Drawings of Greece Today, London 1952

Hogarth´ Griechenland-Zyklus war der Beginn einer Reihe von sozialkritischen Reisereportagen aus den kommunistischen und kapitalistischen Frontstaaten, mit denen er sich in der Folgezeit als bedeutendster grafischer Dokumentarist der Ära des Kalten Kriegs auswies.

35) Jules Feiffer, “I implore you Mr. Seale to sit in your chair”, Offset, Pictures at a Prosecution: Drawings and Texts from the Chicago Conspiracy Trial, New York 1970

Vier Monate lang wohnte der amerikanische Cartoonist Jules Feiffer dem spektakulären Prozess gegen die als „Chicago Eight“ bekannt gewordenen politischen Aktivisten bei, die den Parteitag der Demokraten 1968 im Zusammenhang mit den parallelen Vietnam-Demonstrationen empfindlich gestört hatten. Feiffers erklärtes Ziel dabei war es, eine “Cinéma vérité Version” dieses Prozesses in Wort und Bild abzuliefern.

36) Jules Feiffer, “Bobby Seale”, Offset,  Pictures at a Prosecution: Drawings and Texts from the Chicago Conspiracy Trial, New York 1970

Nachdem der angeklagte Black Panther-Aktivist Bobby Seale den Richter als “Schwein” bezeichnet hatte, wurde er zunächst gefesselt und geknebelt  vorgeführt und später ganz vom Prozess ausgeschlossen. Seale wurde wegen Beleidigung des Gerichts zu vier Jahren Haft verurteilt.

Bildnachweise: 01) Adolf Laube, Max Steinmetz, Günter Vogler hrsg., Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 309 / 02) Klaus Herding und Rolf Reichhardt, Die Bildpublizistik der Französischen Revolution, Frankfurt 1989, S. 8 / 03) Herwig Guratzsch hrsg., James Gillray. Meisterwerke der Karikatur, Stuttgart 1986, S. 76 / 08) Div., Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49, Berlin 1972, S. 37/ 09) Div., Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49, Berlin 1972, S. 53 / 25) Uwe M. Schneede, Käthe Kollwitz. Das zeichnerische Werk, München 1987, S. 71/ 30) Der Holzschnitt im neuen China, Dresden 1951, S. 22 / Alle anderen: Sammlung des Melton Prior Instituts für Reportagezeichnung und Druckkultur

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