Die Pfeile des wilden Apollo. Eine illustrierte Einführung. V Genossenschaft des Jenseits. Aufbruch in die Vergangenheit VI Wilder Apollo.
V Genossenschaft des Jenseits. Aufbruch in die Vergangenheit
Exhibit Galerie
Wild Apollo’s Arrows, exhibition view, Paintings Gallery of the Academy of Fine Arts Vienna (c.eSeLat – Joanna Pianka)
Die mesmeristische Prägung der Generation Romantik kam idealtypisch in einigen Köpfen eines Porträtbuches zur Geltung, das Julius Schnorr von Carolsfeld, ein Hauptvertreter des Lukasbundes, zwischen 1816 und 1824 in Rom anfertigte. Ihre Jenseitsblicke korrespondieren mit den magnetisierten Zuständen, die sein Bruder Ludwig Ferdinand in den Porträts einiger seiner Patientinnen festhielt. Ludwig Ferdinand war ebenfalls Maler und hatte 1820 über seinen Bekannten Friedrich Schlegel Zugang zu den Wiener Mesmeristenkreisen gefunden, wo er bald als begabter Heilmagnetiseur reüssierte. Neben den Porträtzeichnungen schuf er 1821 auch ein Gemälde nach den Instruktionen einer Schlafenden, das diese als Bildnis der heiligen Cäcilie, der Patronin immersiver Musik identifizierte. Dass die Heilige im entschlafenen Zustand zur gleichen Zeit Gegenstand des letzten Werkes des todkranken Lukasbruders Johann Scheffer von Leonhardshoff war, könnte auf eine Verehrung im Nazarenerkreis im Zusammenhang mit magnetischen Praktiken hinweisen. Sphärische Klänge spielten bei Mesmers Tranceinduktion eine zentrale Rolle. Er erzeugte sie selbst auf einer Glasharmonika, während Schnorr für eine Therapiesitzung seinen Freund Franz Schubert als Begleiter auf dem Klavier hinzuzog.
Julius Schnorr von Carolsfeld, Johannes David Passavant, aus dem Römischen Porträtbuch, 1821 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld , Seherin (Marie Schmidt), 1823 (Museum Georg Schäfer, Schweinfurt) (Ausschnitt)Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld , Seherin (Gräfin Lesniowska), 1824 (Museum Georg Schäfer, Schweinfurt) (Ausschnitt)Johann Scheffer von Leonhardshoff nach Raffaello Santi, gen. Raffael, Kopfstudie der Heiligen Cäcilia, 1821, (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld, HI. Cäcilia, 1822, Öl auf Leinwand. 279 × 157 cm. (Linz. Oberösterreichisches Landesmuseum) – not in the exhibition
Das Gemälde entstand nach einer Vision, die der Gräfin Lesniowska unter Trance zuteil wurde.
rechtes Bild: Julius Schnorr von Carolsfeld, Christi Gleichnis von den Ähren, 1816,(Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien): Sebastian Langer und Jakob Kaiserer: Wahre Abbildung des Angesichtes unsers Herrn Jesu Christi, Wien 1806 (Melton Prior Institute)
Das idealtypische Christusbild, das die Nazarener gegen die heroisch- antikisierenden Auffassungen eines Heinrich Füger ins Feld führten, leitete sich von einer vermeintlich zeitgenössischen Beschreibungen des Messias im Lentulusbrief ab, einer Pseudoepigraphie aus spätmittelalterlichen Zeit, von der schon die Christusdarstellungen der Renaissancezeit geprägt waren. Overbeck kannte die „Wahre Abbildung unsers Herrn“ in der Form einer Flugschrift, die der Buchhändler und Schriftsteller Jakob Kaiserer mit einem Kupferstich des Akademieschülers Sebastian Langer 1806 in Wien Umlauf brachte.
Joseph Sutter, Die Kommunion Johann Friedrich Overbecks durch einen heiligen Bischof in Anwesenheit der Brüder Eberhard und Sutters, 1822 – 1823 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)
1813 war der tonangebende Lukasbruder Johann Friedrich Overbeck dem Beispiel des Klopstockianers und ehemaligen Hainbündlers Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg gefolgt, der mit seinem mit seinem Übertritt zum Katholizismus im Jahr 1800 in protestantischen Künstler- und Literatenkreisen eine regelrechte Konversionswelle ausgelöst hatte, an der auch Friedrich Schlegel und Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld partizipierten.
Heinrich Merz nach Bonaventura Genelli, Genossenschaft des Jenseits, Tafel XXIII aus dem Zyklus: Aus dem Leben des Künstlers, 1868 (Österreichische Nationalbibliothek Wien)
Für Bonaventura Genelli, der in Rom unter den Einfluss von Joseph Anton Koch (Bildmitte) geraten war, stellten im autobiografischen Rückblick nicht die gegnerischen Nazarener, sondern die Klassizisten in der Nachfolge des Asmus Jakob Carstens (links) den wahren kunstreligiösen Bund dar, denn zu ihrer Genossenschaft gesellte sich im Jenseits der heilige Lukas (links im Hintergrund).
Das verklärte Mittelalter, das die Künstler des Lukasbundes zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorstellten, hatte einen bemerkenswerten Vorläufer: Fast ein halbes Jahrhundert zuvor hatte der zwölfjährige Thomas Chatterton die englische Öffentlichkeit mit seinen gotischen Halluzinationen in seinen Bann gezogen. Ende der 1760er Jahre brachte der Ossian-begeisterte Küstersohn ein umfangreiches Konvolut spätmittelalterlicher Schriften in Umlauf, das er angeblich in den Truhen eines abgelegenen Raumes der Kirche St. Mary Redcliff in Bristol gefunden hatte. Nach seinem Freitod 1770 sollte der Fund als brillante historische Fälschung in die Annalen der Romantik und des Gothic Revival eingehen. Die Erschütterung über seinen Selbstmord wuchs sich durch die Fusion mit der internationalen Werther-Manie zur beispiellosen Idolisierung eines jugendlichen Genies aus. In Blakes früher Sturm und Drang-Komödie An Island in the Moon (1784) erscheint er als kindlicher Phoebus-Apoll, dessen aufgehende Sonne der Imagination keine Pfeile, sondern Urinstrahlen aussendet und die somnambulen Mondländer in heillose Verwirrung stürzt. Das Mittelalter, das Chatterton durch intensive Recherche und den Einsatz von Opiaten als vielschichtige Textur sich überlagernder Stimmen wiederauferstehen ließ, wollte sich jedoch von der ideologischen Beengtheit einer Feudalgesellschaft emanzipieren und stand damit in diametralem Gegensatz zur regressiven Vision der Nazarener.
Unbekannter Künstler nach Nathan Cooper Branwhite, The Alleged Portrait of Chatterton, Frontispiz zu John H. Ingram, The True Chatterton, London / Leipzig 1910 (Melton Prior Institute)The Works of Thomas Chatterton, Band 3, T. N. Longman and O. Rees, London 1803. Frontispiz: Facsimile of Rowley’s Hand Writing. Facsimile of Chatterton’s Hand Writing, (Melton Prior Institute)
Thomas Rowley und William Canynge, beide Protagonisten von Chattertons halluziniertem Mittelalter, waren historische Persönlichkeiten, die in St. Mary Redcliff begraben sind.
Chattertons Vision einer frühaufgeklärten Bristol-Gotik ließ sich auch als antiquarische Antwort Englands auf die nationalmythische Herausforderung durch die Gesänge Ossians verstehen, die Schottland wie auch Irland für sich reklamierten. Aber auch Wales war in diesem großbritannischen Identitätswettbewerb vertreten – durch einen antiquarischen Illusionisten, der mit seinem Facettenreichtum und seiner performativen Konsequenz Macpherson und Chatterton noch übertraf. Der Dichter, Steinmetz, Linguist und Folklorist Edward Williams aus Glamorgan, der auch unter seinem bardischen Name Iolo Morganwg bekannt war, beherrschte – getragen von der Wirkung des Opiats Laudanum – alle Spielarten spekulativer Altertumskunde, von der akribischen Recherche über die kunstvollen Fälschungen bis zur freien Mythopoetik. 1792 initiierte er die neodruidische Bewegung, indem er den ersten neuzeitlichen Bardenkonvent ausrichtete. Sein bardisches System aus imaginären Riten und weitgehend frei erfundenen Schriftzeichen und Insignien kann als Vorläufer des modernen Rollenspiels und des Cosplay gelten.[1] Williams bewegte sich damit in einem ähnlichen Bereich des archaischen Reenactments wie Klopstock mit seinen Bardiets, die den Vorstellungen des Autors zufolge idealerweise unter freiem Himmel aufgeführt werden sollten. Als Dichter und als Rezitator eigener Poems stilisierte sich Williams zum „Bard of Liberty“ und reihte sich so in eine internationale bardische Gilde ein, die im Umfeld der Französischen Revolution und unter Berufung auf vorfeudale freiheitliche Verhältnisse vom Anbruch einer universellen republikanischen Morgenröte kündeten – darunter befanden sich neben Klopstock auch der schottische Folklorist und „Ploughman Poet“ Robert Burns sowie der englische Liederdichter und Sänger William Blake.
Owen Jones, William Owen Pughe, Edward Williams aka Iolo Morganw, The Myvyrian archaiology of Wales. Volume III: , London 1807, (Österreichische Nationalbibliothek, Wien)
Der Steinmetz und Altertumsforscher Edward Williams, der sich als Barde Iolo Morganwg nannte, kann mit seinen zahllosen gefälschten Dokumenten und imaginierten Riten und Insignien, mit denen er die neudruidische Bewegung mit ihren Bardenkonventen begründete, als walisisches Gegenstück zum schottischen Macpherson und zum englischen Chatterton gelten. Der Mitherausgeber seiner Myvyrian Archaiology of Wales, William Owen Pughe, beauftragte Blake mit dem Gemälde The Ancient Briton.
Edward Davies, Celtic Researches, On The Origin, Traditions & Language, Of The Ancient Britons; With Some Introductory Sketches, On Primitive Society, London 1804 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien)
Von Iolo Morganwgs Fälschungen tangiert waren auch Edward Davies biblische Spekulationen zur keltischen Geschichte, die erheblichen Einfluss auf Blakes Mythopoetik ausübten.
Peithynen: ein Holzrahmen mit dem von Morganwg erfundenden bardischen Alphabet ‘Coelbren y Beirdd’Wild Apollo’s Arrows, exhibition view, Paintings Gallery of the Academy of Fine Arts Vienna
VI Wilder Apollo. Ossian und die Lieder alter Völker
Exhibit Galerie
Macphersons in rhythmisierter Prosa verfasste Poems of Ossian wurden im deutschen Sprachraum erst durch die metrische Übersetzung des Wiener Jesuitenpaters Michael Denis populär, die allein schon durch ihre Anwendung des Hexameters den Einfluss des Messiaden-Dichters verriet. Denis selbst verfasste unter dem bardischen Pseudonym „Sined“ (sein Name rückwärts gelesen) selbst Oden in der Manier seines norddeutschen Vorbilds und fungierte als dessen wichtigster Agent im habsburgischen Raum. Herders Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker (1773), ein wegweisender Exkurs über Folklore in Form eines fingierten Dialogs, sparte nicht mit Kritik an Denisʼ kunstvoller Übersetzung, während Macphersons Fassung als Paradebeispiel für die überlegene Ausdruckskraft des Volksliedes durchging.[2] Je wilder, „d. i. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk“ sei, „desto wilder, … sinnlicher, lyrisch handelnder“ müssten auch seine Lieder sein. Von ihrer weitestgehenden Entfernung von einer verkünstelten, hochkulturellen Reflexivität hänge „die ganze wundertätige Kraft ab, die diese Lieder haben, die Entzückung, die Triebfeder, der ewige Erb- und Lustgesang des Volks zu sein! Das sind die Pfeile dieses wilden Apollo, womit er Herzen durchbohrt, und woran er Seelen und Gedächtnisse heftet!“[3]
Wer war dieser wilde Apoll, dieses überschäumende vitalistische Agens? In Blakes System ging er in die Figur des Los (Sol / Sonne rückwärts gelesen) ein, die Verkörperung der Kreativität und Quell revolutionärer Energie. Herder verstand ihn als Antithese zu Johann Joachim Winckelmanns Interpretation des Apoll vom Belvedere als idealem Ausdruck klassischer Erhabenheit.[4] Auf Rache, so Herder, und nicht auf Transzendenz sei dieser Apoll mit seinem Köcher in Wahrheit aus, wie auch von Homer zu Beginn der Ilias beschrieben, wenn seine Pfeile eine vernichtende Seuche bringen, und so schwingt denn in der Metapher von der durchbohrenden Qualität des Völkischen als einem ewigen „Erb- und Lustgesang“ auch die Suggestion einer zyklischen Verheerung prophetisch mit.
Eduard Aigner, Apollo vom Belvedere, Gipsabguss aus der Glyptothek in der Aula der Akademie der bildenden Künste Wien, 1899 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Franz Xaver Stöber nach Johann Nepomuk Ender, Apollo, aus der Folge Mythos alter Dichter, um 1815 – 1820 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Moritz von Schwind, Hermaphroditischer Apollon oder Sol und tanzende Putten, 1822 – 1825 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)William Blake, The Dance of Albion (Glad Day), 1780 / 1804, (Rosenwald Collection, National Gallery of Art, Washington, D. C)
An Ausdrucksschärfe und Empfindungstiefe waren diese folkloristischen Geschosse unübertroffen, ihre Bahnen verliefen jedoch laut Herder alles andere als streng intentional. Mit seiner Beobachtung, Ossian und die Lieder der Völker seien durchweg „Sprünge und kühne Würfe“, knüpfte er nicht nur an Blackwells These vom frei improvisierten, oralen Hintergrund der Homerischen Epen an, sondern auch an Klopstocks neuere Dichtungen mit ihrem „härtern Bardeton“ der kühnen Sprünge und Inversionen. Als Beispiel nannte er die von Christoph Willibald Gluck vertonte Ode Wir und sie (1766), die agonistisch gegen England gerichtet war und vom britischen Nationalbarden William Blake Jahrzehnte später fäkalsatirisch gekontert wurde.[5] Der entgrenzende, experimentelle Ansatz von Klopstocks neuem Bardenstil kam programmatisch in den sogenannten Eislaufoden zum Ausdruck, die nach der inneren Bewegtheit des Messias eine ekstatische Körper- und Naturerfahrung nordischer Götter im Eistanz thematisierten. Mit der Idee, Gedichte könnten metrisch nach den Bewegungen auf dem Eis geformt werden, stellte sich Klopstock als poetischer Vortänzer an die Spitze einer bürgerlich- patriotischen Skaterbewegung. Aus der einfachen Affektübertragung wurde eine Wechselbeziehung zwischen Körpermotorik, Wortbewegung und deren akustischer Resonanz im Vortrag.
Carl Wilhelm Kolbe d. Ä., Schlittschuhlaufender Barde („Braga“), 1793–1794, (Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett)F. W. Heine, Uller, aus Wilhelm Wägner, Nordisch Germanische Götter und Helden,Leipzig 1901 (Bibliothek der Akademie der bildenden Künste Wien)Goethe in Frankfurt, Fotografie eines Kupferstichs von Wilhelm von Kaulbach, aus Goethe-Gallerie, München 1864 ( Melton Prior Institute)Wild Apollo’s Arrows, exhibition view, Exhibit Gallery of the Academy of Fine Arts Vienna (c. eSeLat – Joanna Pianka)Wild Apollo’s Arrows, exhibition view, Exhibit Gallery of the Academy of Fine Arts ViennaWilliam Hogarth, Studie zu Tanzbewegungen aus The Analysis of Beauty. Plate II (Detail), 1753, (Bibliothek der Akademie der bildenden Künste Wien)
Die Inspiration zu diesem Übersprung von der Poetik in die Performanz kam allerdings aus dem Bereich der Grafik, nämlich von William Hogarths populärer Ästhetik in seiner Analysis of Beauty (1753), die neben der Statuierung einer idealen Schönheitskurve auch Vorstellungen von autodynamischen Linien und ihren Erscheinungsweisen im Raum als frei fließende diagrammatische Tanzfiguren enthielt. Die Verbindung, die Klopstock in seinem Gedicht Der Eislauf (1764) zwischen seiner Tanzspur und der ungekünstelten Linienführung eines befreundeten Kupferstechers herstellt, deutet bereits auf seine Vorliebe für die verkappten Lineamente eines John Flaxman hin. Zu der ersehnten Illustration des Messias durch den englischen Grafiker kam es nicht mehr. Mit Joseph Anton Koch gab es jedoch einen herausragenden Künstler aus dem römischen Kreis um den früh verstorbenen Klassizisten Asmus Jakob Carstens, in dem auch Josef Abel verkehrte, der wenige Jahre nach dem Tod des Dichters den Messias „in der Weise des Engländers Flaxmann (sic!)“ übersetzen wollte.[6] Das Vorhaben sollte nach der Herausgabe seines Ossian-Zyklus in Angriff genommen werden. Die Wirren der Napoleonischen Kriege vereitelten jedoch sowohl die Drucklegung seines Ossian – erhalten sind nur die in der Ausstellung gezeigten 37 Reinzeichnungen im Besitz der Wiener Akademie sowie 53 Vorzeichnungen im Kopenhagener Thorvaldsen Museum – als auch den geplanten Messias-Zyklus.
nach Bertel Thorvaldsen, Die Nacht mit Hypnos und Thanatos, Gipsabguss 1909, Original 1815 (Gemäldegalerie/ Glyptothek)Asmus Jakob Carstens, Die Nacht mit ihren Kindern, 1795 (Kunstsammlungen zu Weimar)Frontispiz zu Carl Alexander Ferdinand Kluge, Versuch einer Darstellung des animalischen Magnetismus, als Heilmittel, Verlag Salfeld, Berlin 1811 (Österreichische Nationalbibliothek,Wien)
Carstens’ bekanntester Karton, Die Nacht mit ihren Kindern (1795), diente 1811 als Titelvignette einer einflussreichen wissenschaftlichen Abhandlung über den Magnetismus. Der Nacht zur Seite steht Apollos Sohn Asklepios, der Gott der heilsamen Inkubation. Wenige Jahre später griff Berthel Thorvaldsen Carstens’ Motiv in einem Rundrelief wieder auf.
Simon Petrus Klotz: Die Nacht mit ihren Kindern Schlaf und Tod 1811,Neue Pinakothek München ( wikisource) – not in the exhibition
In dem Mannheimer Maler und Lithografen Simon Petrus Klotz fand die ossianische Todessehnsucht einen idealen Interpreten. Der zwischen Klassizismus und Frühromantik changierende Künstler gilt als Pionier einer praxisorientierten akademischen Kunstgeschichte, war aber in der Ausübung seiner Lehrtätigkeit durch seine labile psychische Konstitution beeinträchtigt. Er unterhielt Kontakte zu Carstens’ Nachfolgern in Rom und schuf im Jahr 1811 eine abgründige Version der Nacht mit ihren Kindern Schlaf und Tod.
Simon Petrus Klotz, Ossian, 1817 (Melton Prior Institute)Asmus Jakob Carstens, Fingals Kampf mit dem Geist von Loda, 1797 ( Statens Museum for Kunst, Kopenhagen)Joseph Anton Koch, Fingals Kampf mit dem Geist Loda (Carricthura), Blatt 3 der Illustrationen zu James Macpherson, Ossian, 1803 – 1805 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Joseph Anton Koch, Fingal befreit Conbana (Cathloda), Blatt 1 der Illustrationen zu James Macpherson, Ossian, 1803 – 1805 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Joseph Anton Koch, Connal am Grabe seines Vaters (Temora, 3. Buch), Blatt 28 der Illustrationen zu James Macpherson, Ossian, 1803 – 1805 (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)
Klopstocks nordische Apollos hießen Tialf oder Braga und sie tanzten keine reglementierten Schönheitslinien, sondern Orkane am Himmel. Auch sangen ihre Barden als chthonische Nachfahren des Ursängers Orpheus nicht auf einem lichten Parnass, sondern entstiegen, wie in Klopstocks berühmtester bardischen Ode Der Hügel, und der Hain (1771), unter schattigen Eichen einer vergessenen vaterländischen Unterwelt. Die germanische Vergangenheit blieb dunkel und unzugänglich, die bardische Sammlung Karls des Großen unauffindbar – ganz im Gegensatz zur keltischen Kultur der schottischen Highlands. Macpherson und seine zeitgenössischen Interpreten waren fasziniert von der Vorstellung, dass mit den Indigenen Nordamerikas eine den keltischen Stämmen der Highlands ganz vergleichbare, wenn nicht sogar verwandte Kultur live zu studieren war. Alles sei „den Barden Ossians und den Wilden in Nordamerika gemein“, so Herder.[7]
Wild Apollo’s Arrows, exhibition view, Paintings Gallery of the Academy of Fine Arts ViennaChristoph Willibald Gluck (Komposition), Friedrich Gottlieb Klopstock (Text), Wir und sie, aus Klopstocks Oden und Lieder beym Clavier zu Singen in Musik gesetzt von Herrn Ritter Gluck (Singstimme/Klavierbegleitung), Artaria, Wien 1785 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien)
Mit der Suggestion der Überlegenheit teutonischer Dichtung und Musik forderte Klopstock in seiner agonistischen Ode Wir und sie die Barden Englands heraus. Glucks schnörkellose Expressivität weist ihn als kongenialen Tonsetzer solcher Werke aus.
Moritz von Schwind, Profilstudie zum Kopf Franz Schuberts, 1871 Bleistift auf Gips (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)Erzherzogin Maria Klementine von Österreich nach Angelika Kauffmann, Die trauernde Freundschaft, um 1793 (Österreichische Nationalbibliothek, Wien)
Das in der Druckgrafik verbreitete allegorische Motiv der trauernden Freundschaft von Angelika Kauffmann, hier in der Nachbildung einer habsburgischen Adligen, geht auf ein Porträt Anne Hunters zurück, mit der die Malerin in ihrer Londoner Zeit eng befreundet war. Klopstock erhoffte sich von dieser schottischen Verbindung Kauffmanns Aufschluss über das Quellenmaterial von Macphersons Ossian-Dichtungen.
Anne Hunter, The Death Song of the Cherokee Indians, Longman and Broderip, London 1785 (Schubertiade Music & Arts)William Blake, Songs of Innocence: Laughing Song, Druck um 1825, Original 1789, aus Songs of Innocence and Experience (copy Y), (The Metropolitan Museum of Art, New York, NY)
Es ist überliefert, dass Blake seine Songs auch selbst intonierte, und zwar so erfolgreich, dass die Melodien während der spontanen Aufführungen im Salon seiner Mäzenin Harriet Mathew von Musikkennern notiert wurden. Da es enge Verbindungen zum Musiksalon von Anne Hunter gab, ist nicht auszuschließen, dass Haydn in seinen Londoner Jahren auch dort Beispiele der Songs of Innocence mit den verschollenen Melodien gehört hat.
Die schottische Dichterin Anne Hunter (geb. Home), die Anfang der 1790er Jahre in London mit Joseph Haydn an einem englischsprachigen Liederzyklus arbeitete und dabei auch seine Leidenschaft für das schottische Volkslied weckte, hatte 1785 mit ihrem als Einblattdruck erschienenen Poem Death Song of the Cherokee Indians Zeugnis von dieser ossianischen Identifikation mit dem Heroismus der nordamerikanischen Indigenen abgelegt. Auch Blake, der zu dieser Zeit mit spontanen Auftritten als Singer-Songwriter Teil der Folkbewegung des wilden Apollo war, fühlte sich deren Spiritualität verbunden. Wie bei Zinzendorf, der die nordamerikanischen Ethnien für Nachfahren der Stämme Israels hielt, erfolgte seine Identifikation aber auch über die Bibel. In seiner manifestartigen Bilddichtung Marriage of Heaven and Hell (um 1790–1793) ließ er den Propheten Hesekiel verkünden, dass er sich bei der Entfaltung seines Genius ganz auf einer Ebene mit den visionären Praktiken der Völker Nordamerikas sehe. Ermöglicht wurde diese Gleichsetzung nicht nur durch wilde Spekulationen einer esoterischen Altertumsforschung.[8] Bereits 1753 hatte der englische Bischof Robert Lowth mit seiner einflussreichen Abhandlung De sacra poesi Hebraeorum (Über die heilige Poesie der Hebräer) einen überraschenden literaturgeschichtlichen Zugang zu den Prophetien und den psalmischen Gesängen des Tanach eröffnet, über den sich hebräisches, altgriechisches, kelto-germanisches und indigenes amerikanisches Barden-, Druiden-, Propheten- und Schamanentum zu einem einzigen, urtümlichen Topos verschmelzen ließen.
Anon. (Michael Denis ) Die Lieder Sineds des Barden, Wien 1772 (Österreichische Nationalbibliothek , Wien) – not in the exhibitionDaniel Chodowiecki, König David spielt Harfe, Titelblatt zu Les Pseaumes de David en Vers avec des Prières, 1759, (Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien)William Blake, The Voice of the Ancient Bard (1789) Druck um 1815 –1826 (Fitzwilliam Museum, Cambridge)Wild Apollo’s Arrows, exhibition view,Exhibit Gallery of the Academy of Fine Arts Vienna (c. eSeLat – Joanna Pianka)
[1] Es war ein Mitherausgeber von Edward Williamsʼ Myvyrian Archaiology of Wales, der walisische Sprach- und Altertumsforscher William Owen Pughe, der Blake mit dem Gemälde The Ancient Britons beauftragte.
[2] Herder prägte mit diesem Essay den Begriff Volkslied.
[3] Johann Gottfried Herder: Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker (1773). In: Herder, Goethe, Frisi, Möser: Von Deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter (1773). Hrsg. von Hermann Korte. Stuttgart 2014, S. 16f.
[4] Vgl. Johann Gottfried Herder: Eine ungekrönte Preisschrift Johann Gottfried Herder’s aus dem Jahre 1778. In: Ders.: Die Kasseler Lobschriften auf Winckelmann. Akademie-Verlag, Berlin 1963, S. 42.
[5] Mit dem in zwei verschiedenen Entwürfen vorliegenden Poem When Klopstock England defied.
[6] Joseph Anton Koch: Brief an Georg Friedrich Fischer, Rom, am 3. Mai 1805.
[7] Herder, Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker, S. 19.
[8] Unterschiedlichste Spekulationen über eine israelische Abstammung sollten gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien und den USA in die breite nationalistisch-identitäre Strömung des Anglo-Israelismus eingehen.