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Robert Weaver – Der andere Pittsburgher

Die Behauptung, die Lou Reed in seinen “Songs for Drella” aufstellt, dass aus einem Kaff wie Pittsburgh kein Michelangelo kommen könne, hält einer Überprüfung nicht stand. Robert Weaver stammt aus Pittsburgh und 1949, im gleichen Jahr als der eine Pittsburgher Andy Warhol, um den sich Reeds Songzyklus dreht, in die Metropole New York gezogen war, befand sich der vier Jahre ältere Weaver auf dem Weg nach Italien, um sich nach Beendigung eines Kunststudiums in Venedig an der Academia delle Belle Arti zwei weitere Jahre in Temperamalerei und Freskotechnik unterweisen zu lassen.

Sein Interesse an einer ungeschönten Wirklichkeitsschilderung, das in ihm bereits durch die Anschauung des engagierten sozialkritischen Werks von Ben Shahn geweckt worden war, traf in der Lagunenstadt auf das Erlebnis einer rohen und leidenschaftlichen Visualisierung von Alltagsleben durch das sich im Aufbruch befindliche Kino des italienischen Neorealismus.

“I was probably the only person in Venice who attended the premiere of Bicycel Thief.”, erinnerte sich Weaver in einem Gespräch mit dem Autor Steven Heller “Everybody else was dying to see American extravaganzas”.

Nach seiner Rückkehr versuchte er sich in New York einige Zeit erfolglos mit Wandmalereien über Wasser zu halten, bis man in den Zeitschriftenredaktionen allmählich auf sein eminentes zeichnerisches Talent aufmerksam wurde. Die Hinwendung zur Illustrationskunst war für ihn jedoch keine zweite Wahl. Zeit seines Lebens blieb sie eine Profession, die er mit vollem Einsatz und ungeteilter Leidenschaft betrieb.

Als Künstler hatte sich Weaver von Anfang an als einen späten Ausläufer eines starken sozialrealistischen Stroms begriffen, der sich seit den Kindertagen an durch die amerikanische Kunst gezogen hatte und der nach einem letzten Anschwellen zur Zeit der Depression und der darauf folgenden Phase des New Deal in den dreissiger Jahren ziemlich abrupt unter der von ihm als totalitär empfundenen Vorherrschaft der Abstraktion begraben worden war. Die Erkenntnis, dass die meisten Vertreter dieser Traditionslinie ganz im Gegensatz zu ihren europäischen Künstlerkollegen keinerlei Berührungsängste mit dem Illustrationsgewerbe kannten (die meisten Mitglieder des Tile-Club und der späteren Ashcan-Group waren als Zeitschriftenillustratoren tätig, einige von ihnen sogar als Art-Direktoren ) bestärkte ihn in seiner Berufswahl. Mit dem ungebrochenen Selbstverständnis als Künstler, mit dem er als Zeitschriftenillustrator arbeitete, stand er sozusagen völlig im Einklang mit seinen Idealen.

Und Weaver war schon nach kurzer Zeit auf diesem Gebiet enorm erfolgreich. Zu seiner Klientel zählte bald das gesamte Spektrum renommierter amerikanischer Illustrierten von Time , Life ; Newsweek , New York Times über Sports Illustrated und Playboy bis zu Psychology Today. Bei einer Umfrage, die die Designer – Fachzeitschrift „ Print“ 1977 unter Illustratoren durchführte , benannte mehr als die Hälfte der Befragten Weaver als ihr Vorbild.
Trotz des stilistischen Einflusses, den er vor allem in den 60iger und frühen 70er Jahren ausübte , ist er mit dem sperrigen und expansiven künstlerischen Behauptungsanspruch seiner Arbeiten im Metier des Gebrauchsgrafik immer ein Solitär geblieben. Seine von grosser Intensität geprägte Handschriftlichkeit, mit der er sich klar erkennbar als Antipode gegen die Pop – Strategien der glatten Oberflächen im Zeitschriftendesign aufgestellt hatte, ist den nachgefolgten Generationen von Photoshop-Grafikern fremd geworden, so dass sich mittlerweile der Ignoranz des Kunstbetriebs diesem begnadeten Zeichner gegenüber die Vergesslichkeit seiner eigenen Zunft hinzugesellt hat.

Das Melton Prior Institut beherbergt eine Zeichnung von ihm, die 1958 entstanden ist, als er im Auftrag des LIFE Magazine den Senatorenwahlkampf des späteren Präsidenten John F. Kennedy mit dem Zeichenstift begleitete, sowie ein Portfolio mit 10 Zeichnungen, die er 1962 im Zusammenhang mit einem Illustrationsauftrag über die Aufstiegsmöglichkeiten in der Woolworth- Company ausgeführt hatte. Für den Abdruck übertrug Weaver eine Auswahl der unkolorierten Bleistiftzeichnungen in Gouachemalereien, ein Verfahren, das er als “ein Baden des Bildes im rechten Licht” bezeichnete.

In Auftrag gegeben hatte diese visuelle Reportage das renommierte Fortune Magazine, das in den dreissiger Jahren als publizistisches Organ vor allem der Schwerindustrie gegründet worden war, um den Arbeitsethos und die Fortschrittseuphorie des New Deal zu illustrieren. Bis in die späten sechziger Jahre hinein war dieses Magazin führend was die grafische Gestaltung betrifft und beschäftigte Künstler wie Walker Evans, Philip Guston, Matta, Diego Rivera , Saul Steinberg, Ben Shahn, Domenico Gnoli, Richard Lindner, Bernard Perlin, Nicolas Solovioff und Feliks Topolski mit oftmals ausgedehnten Illustrationsaufträgen.

Robert Weaver-Woolworth, aus einem Portfolio von 10 Zeichnungen, 1962  (Bleistift auf Papier 27,5 x 35,5 cm)

What´s Come Over Old Woolworth? (Fortune, January 1969)

All images © The Estate of Robert Weaver

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